Da hilft nur noch beten
sie es konnte. «Du, ich bin unheimlich betroffen von allem! Das muß dich ja wahnsinnig verletzt haben alles, aber du weißt ja: manchmal überkommt es mich halt, und da ist dann nichts mehr zu machen! Jessi, du Ärmste…!» Sie versetzte ihr, ganz Ufa-Star in diesem Augenblick, einen süßen Schmatz nach dem anderen auf Wangen und Stirn, setzte sich dann wieder, nicht ohne vorher noch nach Art Abbitte leistender Kinder ausgerufen zu haben: «Ich will’s auch ganz bestimmt nicht wieder tun!»
Jessica war wie betäubt, brauchte viele Schlucke Tee, um diesen Gefühlsausbruch, diese Szene zu begreifen, schaffte es erst, nachdem sie vorsichtig gefragt hatte, ob sie wohl Carsten meinte, Corzelius, und dies durch Tatjanas schuldbewußtes Nicken auch bestätigt fand. Natürlich, ja: Tatjana mußte ja davon ausgehen, daß Corzelius ihr Geliebter, ihr intimer Partner war, Yemayás Vater. Und mit dem Quasi-Ehemann einer guten Freundin geschlafen zu haben mußte sogar einer in libidinösen Dingen nicht eben pingelig-ehrpusseligen Dame wie Tatjana einen erheblichen moralischen Kater bescheren.
Obwohl ihr eigentlich immer nur zum Heulen war, konnte Jessica ein gewisses Schmunzeln doch nicht unterdrücken, war sich aber auch im klaren, daß sie nun eifersüchtig und verletzt zu wirken hatte, fragte sich, Profi der sie war, ganz automatisch, wie das wohl darzustellen wäre, stünde sie jetzt vor der Kamera, blockierte sich jedoch in allem, saß nur versteinert da, unfähig, mit ihren Widersprüchen und Impulsen fertig zu werden.
«Was ist ‘n mit dir…?» fragte Tatjana.
«Ach, nichts!» Jessica sprang auf und warf ihre Teetasse ins Waschbecken, daß es explosionsartig knallte. «Ich kann bald nicht mehr!» Sie trat ans Fenster und sah, wie unten auf dem Hof eine junge Nachbarsfrau volle Windeln in den Müllcontainer warf. «Das ist alles zuviel für mich…»
Tatjana wollte ihr Mut machen, etwas sagen, was neue Kräfte in ihr weckte. «Du darfst jetzt nicht schlappmachen, das Kind braucht dich doch!»
«Hör auf!» schrie Jessica.
«Wieso, ist es denn krank…?» Fuhr dann, als nicht sofort die Antwort kam, mit der Frage fort, wo Yemayá denn sei. «…ich hab sie ja noch gar nicht schreien gehört…?»
Jessica brauchte einige Sekunden, um auf eine vernünftige Antwort zu kommen. Hätte sie gesagt, Yemayá läge nebenan im Zimmer und schliefe, wäre Tatjana womöglich hingelaufen, die Kleine zu sehen. Was blieb denn noch? Mit Corzelius spazierengegangen? Nein, der Kinderwagen stand ja unten. Im Christopherus-Krankenhaus? Nein, da wäre sie als Mutter ja dabeigewesen. Tatjana hätte das womöglich gewußt, das mit dem Rooming-in.
Der Druck, etwas Plausibles sagen zu müssen, schnürte ihr nun immer mehr den Atem ab, ließ die Ränder ihres Herzens derart verkrampfen, daß sie den Infarkt schon kommen sah. Und dabei Tatjanas verwirrt-erstaunter Blick.
«…bei meiner Großmutter ist sie!» stieß sie endlich hervor. «In Stuttgart unten, in Fellbach… Bei ihrer Uroma…»
«Ich denke, ihr sprecht nicht mehr miteinander, seit du Yemayá…?»
«Doch, wir haben uns neulich lange ausgesprochen, und jetzt ist alles wieder gut. Sie war vorgestern hier und hat das Baby für ‘ne Woche mitgenommen…» Der Kloß war aus dem Hals, die Lungen hatten wieder Luft, sie war euphorisch erleichtert. «Damit Carsten und ich mal wieder Zeit für uns alleine haben. Du hast ja gestern selbst erlebt, wie nötig das ist…» Fast war sie stolz auf diese Wendung, diese Spitze.
Tatjana nickte. «Nimm’s als ein Stück Therapie, was er bei mir…» Sie stockte, denn in diesem Augenblick wurde an der Tür geschlossen. «Ah, wenn man vom Teufel spricht…»
Corzelius kam herein und überspielte seine Angst vor Tatjana damit, daß er einen Stapel Post auf den Küchentisch warf.
«Gott zum Gruße allerseits! Die Post! Wieder mal ‘n Brief von deiner Großmutter bei; die läßt nicht ab von ihren Wiederversöhnungsversuchen! Soll ich ihn gleich zerreißen, oder willst du ihn vorher noch lesen?»
«Witzbold du!» Sie funkelte ihn an. «Ich hab Tatjana eben erzählt, daß Yemayá bei der Uroma ist.»
«Sie schreibt ja auch, daß es ihr prächtig geht. Man wird ja wirklich noch mal ‘n kleinen Scherz machen dürfen!»
16.
Mannhardt stand in Jessicas Küche und briet sich Spiegeleier. Von Brat- und Pellkartoffeln einmal abgesehen, gab es in seiner ganzen Single-Zeit kaum ein Gericht, in dessen Zubereitung er sich derart
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