Da hilft nur noch beten
perfektioniert hätte wie beim Spiegelei, ja, später sollte er diesen Abschnitt seines Lebens als «meine Spiegelei-Phase» bezeichnen.
Während die drei gelben Dotteraugen von ihm in der Pfanne langsam ihre Konsistenz veränderten, philosophierte er über ihr bisheriges Versagen Yemayá betreffend. Zu viele Möglichkeiten, zu viele Varianten waren da im Spiel, und sie waren da im selben Maße überfordert wie sein neuer Schachcomputer, wenn Kasparow ihn getestet hätte. Zu viele Spuren – und kein Team, keine Sonderkommission, jeder einzelnen zu folgen, das war ihr Dilemma. Drei Tage und Nächte hindurch hatten sie es mit all ihren Kräften allein versucht; und waren offenbar gescheitert: mehr man power mußte her, die Kollegen waren einzuschalten. Das aber hieß, daß man Wuthenow sehr bald im Visier haben würde, denn es gab Bilder von der Kuba-Reise, auch im Westen hier, auf denen er an Jessis Seite abgelichtet worden war, Arm in Arm. Ob er dann, kam alles heraus, wirklich Selbstmord beging, um sich so allen Folgen zu entziehen? Der Schach von Wuthenow hatte es getan, um dem Spotte seines Standes zu entgehen; konnte der Genosse Wuthenow denn anders handeln?
Im Klartext hieß das wohl, daß sie Wuthenow opfern mußten, um Yemayá zu retten.
Entscheiden mußten sie das alle, alleine konnte er es nicht. Doch die beiden anderen, Jessi und Corzelius, waren schnell zum Arzt gegangen, neue Tranquilizer fassen. Blieb ihm also nichts anderes, als weiter zu warten.
Er drehte das Gas auf die kleinste Flamme herunter und sah sich nochmals jene bunten Zettel an, die sie in der ersten Nacht beschrieben hatten. Was hatte sich da jeweils ergeben?
1. Der türkisfarbene Zettel: Martin Schmachtenhagen, Jessicas geschiedener Mann. Trotz bundesweiter Fahndung nach ihm noch immer keine Spur. Wahrscheinlich in einen der vielen Bauskandale verwickelt. Hatte er seine Tochter mit ins Ausland genommen? Keine Antwort möglich.
2. Der scharlachrote Zettel: Eine «ganz normale» Entführung, angeregt dadurch, daß in einigen Programmzeitschriften Jessica mit ihrem Kind abgebildet worden war. Aber warum hatten der oder die Entführer noch nicht angerufen? Keine Antwort möglich.
3. Der ziegelrote Zettel: Ein Triebtäter, der Mann, der Jessi angesprochen hatte. Keine neuen Erkenntnisse darüber.
4. Der karminrote Zettel: Leute, die unfruchtbaren, aber reichen und kindsüchtigen Müttern für viel Geld Babies beschafften. Keine neuen Erkenntnisse darüber.
5. Der ockerfarbene Zettel: Die Staatssicherheit drüben, das MfS, um Wuthenows Ende einzuläuten. Wenn er an sein finsteres Weib und John F. die Türkenstraße, dachte, mußte er dem eine Wahrscheinlichkeit von gut und gerne 45 % einräumen. Er fragte sich auch immer wieder, ob er wirklich glauben sollte, was Wuthenow Jessica auf deren Frage hin erklärt hatte: Ja, seine Frau sei in West-Berlin gewesen, hätte mit einer sowjetischen Diplomatenfrau zusammen verschiedene Einkäufe getätigt, wie öfter wohl schon, aber nichts davon verlauten lassen, daß da ein Baby mitgewesen sei. Aber ausgeschlossen werden könnte dies nicht. Auch in einem schwarzen Volvo, sicher, aber nicht in seinem. Die Nummern zum Verwechseln ähnlich, ja. Daß aber seine eigene Frau Yemayá…? Ausgeschlossen! Doch was war auf dieser Welt schon gänzlich aus zuschließen…?
6. Der zitronengelbe Zettel: Die Ehrenmänner, die Grobi aus dem Verkehr gezogen und dann auf Corzelius geschossen hatten, um zu verhindern, daß irgendein Super-Saustall ruchbar wurde. Ob sie, um Corzelius, um ihn zu stoppen, auch Yemayá…? 45 % schrieb er auch hier mit dem Bleistift dahinter. Was auch erklärt hätte, warum man sie so lange schmoren ließ.
7. Der lindgrüne Zettel: Jessica selber. Sie hatte die Psyche dazu, ihre Tat völlig zu verdrängen, und die darstellerischen Gaben, ihnen die vom Schicksal arg gebeutelte Mutter überzeugend vorzuspielen; vom PR-Effekt, wenn nun doch die Presse Wind von allem kriegte, einmal ganz zu schweigen. Hohe Restwahrscheinlichkeit, knappe zehn Prozent.
Das Resümee war deprimierend: Zweimal eine Wahrscheinlichkeit von 45, einmal von zehn Prozent, so schien es, aber diese Rechnung war natürlich Quatsch, weil sich die Quoten, was die anderen vier Varianten anging, einfach nicht berechnen ließen.
Mannhardt warf die bunten Zettel in den Obstkorb zurück.
«Da hilft nur noch beten!» wiederholte er – oder alle Apparate waren einzuschalten, im doppelten Sinne. Die
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