Da hilft nur noch beten
sowjetische und polnische Patrioten und Partisanen umgebracht. Mitunter bedeutete ein Federstrich in ‹Walli III› das gnadenlose Hinschlachten einer ganzen Partisanengruppe. Fleißig wurden in ‹Walli III› auch jene namenlosen sowjetischen, polnischen und antifaschistischen deutschen Helden kartiert, die als ‹spionageverdächtig› in die Hände der Wehrmachts-‹Abwehr›-Offiziere geraten, erschossen oder aufgehängt und verscharrt worden waren. Und dazu gehörten nicht wenige von den erfaßten 80000 ermordeten polnischen Partisanen, von denen 4500000 allein in der Ukraine und 1409000 in Belorußland gemeuchelten Widerstandskämpfern und Zivilisten. Im Hinblick auf die ‹Agentenfestnahmen› hat sich dabei insbesondere der Hauptmann Norbert Criens hervorgetan, der als brutaler Partisanenjäger Anfang 1944 mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet worden ist…»
Jessica sprang aus dem Sessel, riß ihm das Blatt aus der Hand, zerknüllte es und warf es aus dem Fenster.
«Hör doch endlich auf mit diesem Scheiß! Ich hab meinen Vater nie bewußt gesehen; nicht mal zwei Jahre bin ich alt gewesen, als meine Mutter mit mir aus Paraguay weg ist…! Acht Jahre haben wir zwar noch nebenan in Buenos Aires gewohnt, aber ich kann mich nicht erinnern, daß er uns da mal besucht hätte. Was kann ich für diesen Vater; ist das etwa meine Schuld!?» Sie hatte ihren Kopf an seinen Rücken gepreßt, spürte mit Nase und Stirn seine Wirbel unter dem dünnen Stoff seines grauen Jacketts, hieb ihm mit beiden Fäusten auf die Schulterblätter. «Begreif das doch endlich!»
Er drehte sich herum, drückte sie an sich, küßte sie aufs indianerschwarze Haar, Erbe ihrer Mutter, Sproß eines deutschen Siedlers und einer Kreolin, dachte: Gott, ist das alles ‹Dallas› und ‹Denver›, sagte aber, daß die Realität halt so sei. «… und wenn ich persönlich auch zehnmal was gegen jede Sippenhaft habe, man wird mir doch immer vorwerfen, daß ich das nötige Fingerspitzengefühl hätte vermissen lassen, daß es mir am ‹Faktor Fortüne› ganz entscheidend mangele!»
Sie stieß sich von ihm ab, floh wieder in die warme Höhlung ihres Sessels zurück. «Mann, hör doch auf mit deinem akademischen Gelabere!»
«Wie oft soll ich denn noch wiederholen, daß dies das absolute Ende für mich wäre!?» Er warf die Fensterflügel zu, daß der lockere Kitt herabrieselte.
Sie lachte auf, nutzte all ihre Kunst dazu, es ausgesprochen höhnisch klingen zu lassen. «Da soll ich dich immer bewundern wegen deiner Macht, die du über Menschen hast, und jetzt machst du dir vor Angst in die Hosen!»
Wuthenow schaffte es diesmal, die Contenance zu wahren, ging zu ihren, beziehungsweise Corzelius’, Büchern hinüber, suchte einen kleinen Augenblick und zupfte dann einen alten rot-schwarzen Band heraus, hatte keine Mühe, die gesuchte Passage zu finden. «Hier, Willibald Alexis, Der Roland von Berlin, Halle/Saale 1840, Seite 302: ‹… und wie mancher hohe Herr, der gerecht ist und gern seinen eigenen Weg ginge, muß gehen wie sein Anhang will, sonst verliert er ihn. Ist es mit aller Macht in der Welt ein schlimm Ding. Die so scheinen vor den Leuten, es müßte der Berg eben werden, worauf sie treten, und die Uhr müßte so viel Stunden schlagen, als sie wollten, gerade die Herren sind oftmalen am wenigsten frei…›»
«Du bist in dem Moment völlig frei, wo du auf eine Karriere drüben verzichtest!» rief Jessica.
«Verzichte du darauf zu essen, zu trinken, zu schlafen…»
«Zu lieben… das hast du sinnvollerweise vergessen!»
Das traf Wuthenow, verletzte ihn, und so schrie er, um ihr weh zu tun, gegen seinen Willen heraus, was er die ganze Zeit über noch zurückgehalten hatte: «Das hätt’st du mir mit deinem Vater auch eher sagen können!»
Sie nahm eine griechische Amphora, Mitbringsel aus Nauplia, und warf sie nach ihm. «Du bist ja so ein Schwein, Wuthenow!»
Das Tongefäß zerschellte, ohne ihn zu treffen, an der Wand, lockte aber Corzelius herbei, der noch geschlafen hatte.
«Is was…!?»
«Hau ab, wir reden hier!» Sie scheuchte ihn wieder in sein Schlafzimmer zurück.
«Entschuldige…» sagte Wuthenow und machte einen Schritt auf sie zu.
«Bleib mir vom Leibe!»
«Du weißt doch, daß ich süchtig bin nach dir…»
«Aber wenn du das mit meinem Nazi-Vater vorher gewußt hättest, auf Kuba, dann…?» Sie sah ihn an.
Er senkte den Blick, wollte ehrlich sein, fürchtete sich aber vor den beiden Worten, die nun zu
Weitere Kostenlose Bücher