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Da hilft nur noch beten

Titel: Da hilft nur noch beten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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schließlich auch zu Fuß von der Straße unten. Nur nicht wieder auf die Horrorstrecke am Kanal zurück! Vielleicht gar mit dem ganzen Zug abstürzen…
    Mit Schaudern dachte er, während er dieselben Treppen benutzte wie keine Viertelstunde früher Jessi und Corzelius, an einen Todesfall vor Jahren, als sich Jugendliche, auf besondere Mutproben versessen, hinterm Bahnhof Möckernbrücke mit einer Rolle aus dem Innern auf die Wagendächer hochgestemmt und aufgeschwungen hatten, auf den Hochbahnzügen western-like umhergeritten waren, tief unter sich die Straßen und das Landwehrwasser… Bis dann einer von ihnen hier am Bahnhof Kottbusser Tor den Raum zwischen Wagendach und Hallendecke, dem quergestellten Träger einer knappen Konstruktion, erheblich überschätzt hatte und geköpft worden war.
    Er kam ins NKZ, ins Neue Kreuzberger Zentrum, jenes Stückchen Stadt, wo Berlin Bronx- und Brooklyn-Züge angenommen hatte, den Touristen für ihr Geld viel Tristesse darbot, Hundescheiße, Dreck und Pißgestank, schlenderte an saufend hingestreckten Punkertrupps vorbei, las Aufgesprühtes noch und nöcher: Bulle deine Angst ist begründet (wie passend!), destroy, Abschiebehaft ist Mord, Türkische + deutsche Frauen gemeinsam kämpfen gegen PATRIARCHAT, hatte ungemeine Lust, sich auch aus allem fallenzulassen, aus Zeit und Mannhardt-Rolle. Minuten vergingen, Ewigkeiten, bis er sich wieder in den Griff bekommen hatte.
    Film weiter!
    Mannhardt ging nun ein Stückchen unter der Hochbahn entlang, fand die Fachwerkkonstruktion aus den vielen genieteten stählernen Trägern, ehemals als zu nüchtern verschrieen, ausgesprochen schön, wußte, daß sie von alten Kreuzbergern mit dem Namen Magistratsschirm bedacht worden war, und nutzte diese Eigenschaft nun auch, als es kurz und kräftig zu regnen begann, es, berlinisch gesprochen, wieder mal ‘ne Husche gab.
    Westwärts, die Skalitzer Straße hinauf, wo gleich der Erkelenz mit dem parallelen Segitzdamm vom breiten Hochbahnschwert zerschnitten wurde. Am Wassertorplatz, alles auf einen ehemals vorhandenen Verbindungsgraben zur Spree hinweisend, gab es diverse Hochhausblöcke, von wieder einigen Graffiti bunter gemacht: Amis raus! las Mannhardt, Nie wieder Arbeit und Solidarität mit der PLO.
    Ja… Er atmete durch. In vergleichsweise riesigen Wohnmaschinen wie diesen ließ sich jedes Baby ohne Mühe verstecken, anonym wie alles war. Aber er konnte doch nicht auf Hunderte von Klingelknöpfen drücken und erwarten, daß ihm jemand sagte: «Ja, wir haben es hier!», wenn er unten durch die Sprechanlage nach dem Baby fragte.
    So blieb er unten und dachte an Stefan, einen entfernten Bekannten, einen Geologen, in aller Welt auf der Suche nach Uran, Kohle und Öl: der konnte auch direkt über riesigen Rohstofflagern stehen, ohne daß ihm seine groben Menschensinne Sicherheit gaben; höchstens eine Fifty-fifty-Ahnung war da möglich, daß man fündig werden könnte.
    Mannhardt sah sich suchend um.
    Wasser…
    Wasser…
    Die eigene Kindheit war nicht nur Schrecken, sie war auch eine Höhle, in die er immer wieder flüchten konnte.
    Kohle…
    Kohle!
    Eine weitere Drehung um die eigene Achse herum und…
    …Feuer!
    In ihm rief es immer wieder: Feuer!
    «Aber wo denn!?» fragte er leise. «Wo?»
    Du bist ja nicht mehr dicht! Du hast ja ‘n Loch in der Wanne!
    Er ging weiter, schoß seinen Laserblick in Hunderte von Neubaufenstern; doch umsonst.
    Natürlich.
    Er merkte, wie sich Zunge, Lippen und Gaumen mit übler Schmiere überzogen hatten, das schwere Atmen, die Erregung, so als hätte er die ganze Nacht mit verstopfter Nase dagelegen, suchte lange nach irgendeinem Lutschbonbon, doch die Taschen seines blauen Blazers gaben trotz allen Wühlens nichts weiter her als einen kleinen Streifen verhärteter Kaugummimasse. Er schob ihn dennoch in den Mund, bemühte sich, ihn langsam aufzuweichen, und wußte nicht, wohin mit dem inneren, dem silbernen, wie dem äußeren Einwickelpapier, nachdem doch die Aufschrift deutlich mahnte: Keep your country tidy. Haltet die Umwelt sauber. Hall naturen ren. Gardez votre ville propre. Letzteres mit zwei weißen Wölkchen und einer lachenden Sonne auf grünem Papier.
    Grün…!
    Mensch! Der geheimnisvoll grüne Fleck, Flecken auf C. C.s Vergrößerung! Irgendwo gegenüber der Wohnung, in der sie ihre Yemayá versteckt hielten, auf Hochbahnkörperhöhe, direkt gegenüber.
    Deutlich im Fieber begann er nun, die Altbauten auf der anderen Seite der Straße

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