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Da hilft nur noch beten

Titel: Da hilft nur noch beten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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erlebt.
    Mit der Hochbahn war das immer ein wenig anders gewesen, da hatte die Angst davor, in die Tiefe zu stürzen und unten auf dem Straßenpflaster grausam zu zerschellen, die angenehmen Gefühle weitgehend verjagt. Da war es besser gewesen, sich mit dem Teddy im Arm an die Mutter zu drücken und die Augen zu schließen.
    Der Zug fuhr an, war von modernster Bauart und holperte dennoch schlimmer, vergleichsweise, als der «Adler» von 1835 aufs rechte Richtungsgleis hinüber, katapultierte Mannhardt in die Gegenwart zurück, zur Tür, von der aus stehend die Häuser an der Strecke am besten abzuchecken waren.
    Auf seiner Seite gab es auf dem ersten halben Kilometer nichts, was des Aufmerkens oder gar -schreckens wert gewesen wäre, fast schläfrig starrte er hinaus, und wenn’s ein Fernsehfilm gewesen wäre, hätte er, Weltmeister im flipping, längst auf einen anderen Kanal hinübergedrückt, dachte lediglich an seinen Onkel Otto, der hier im Klinkersteinmuseum des SO-36-Hauptpostamtes als Technischer Fernmeldehauptsekretär unter Zuhilfenahme seiner sogenannten Störungssucher die Reparatur kaputter Telefone mit Eifer, aber stets auch mit Frust betrieben hatte; schien ein superbürokratischer Haufen gewesen zu sein.
    Einen armen Teufel namens Andy hatten sie am Schlesischen Tor auch mal gejagt; er in seiner Wahnsinnzeit im Reinkarnations-Zentrum Berlin, als er von Friedrich dem Großen, vermittelt über seinen Ahnen, den Kammerherrn Joachim Ernst v. Mannhardt, gerettet worden war – was heißt gerettet –, zwar den Mordfall klären konnte, aber auch seinen Vorgesetzten fast erschlagen hatte. Mit der Endstation Psychiatrie.
    Mann, paß auf!
    Die Emmaus-Kirche stand im Canon des Lausitzer Platzes wie ein Felsmassiv aus härtestem Granit, der allen Wassern standgehalten hatte, und während sie vorüberrollten, hörte er eine feine Stimme in sich flüstern:… laß mich die Wohnung mit Yemayá finden!
    Gegen seinen Willen war das geschehen, und er kämpfte auch dagegen an, konnte aber nichts mehr daran ändern, höchstens froh darüber sein, nicht auch noch das Lieber Gott oder Herr mitgedacht zu haben. Nicht er hatte hier gebetet, sondern: es hatte in ihm gebetet.
    Vorerst aber half es nicht; wie denn auch, dachte er.
    Sie liefen in die Station Görlitzer Bahnhof ein, die noch immer so hieß, obwohl ihr Namensgeber im Berliner Modernisierungs- und Verdrängungswahn der sechziger Jahre längst geschleift worden war. Seine Tante Emma war hier angekommen, aus Landsberg/ Warthe wohl, kurz nach der Jahrhundertwende, um bei einer Arztfamilie, siehe «Nesthäkchen», Dienstmädchen zu werden, das heißt, in Stellung zu gehen. Eine alte Wendung, die ihn schon als pubertierenden Jüngling stets ein wenig erregt hatte, denn wußte er doch aus Alt-Berliner Romanen wie den «Koblanks» etwa, daß jeder Hausherr, der ein wenig auf sich hielt, mit seinem Dienstmädchen schlief (oder dieses wenigstens in treuer Rollenerfüllung versucht haben mußte); und in welcher Stellung wohl, der Missionars- wahrscheinlich.
    Mannhardt, konzentrier dich!
    Wenn ich das Wort Konzentration schon höre…! Ich kann das nicht hören! Sein Kommunistenonkel hatte lange dort gesessen.
    Reiß dich zusammen, sonst bist du wieder in Bad Brammermoor! Bei den Verrückten da war’s wenigstens sichtbar geworden.
    Der Bahnhof selber hatte ihn als Kind immer zweifeln lassen, ob das nicht doch eher eine Markt- oder Fabrikhalle sein sollte; heute sah er mehr nach Eislauf- oder Tennishalle aus, hatte aber schöne Arkaden an den Seiten, ins Blech gestanzte Bögen wie bei einer Spielzeugbahn. Die beiden Gleise lagen in der Mitte dicht an dicht, und die Richtungsbahnsteige hingen außen an der Konstruktion, waren so schmal, daß er als kleiner Pöks immer voller hosenvoller Angst gewesen war, vom herandröhnenden Zug mitgerissen und wie eine Blutwurst in Scheiben zerstückelt zu werden, litt noch heute nächtens unter dieser Angst, war froh, hier nicht aussteigen zu müssen.
    Scheiße, daß er kein Ein-Tages-Mensch war, sondern seine, er überschlug es schnell, bislang gelebten fast zwanzigtausend Tage immer mit sich herumschleppen mußte.
    Als sie über die fast platzbreite Kreuzung der Skalitzer, der Wiener, der Manteuffel- und der Oranienstraße hinwegglitten, sah er, als er den Kopf zur andern Seite drehte, unten links einen ausgebrannten Supermarkt liegen («Bolle bietet Bestes!»), von Kreuzberger Krawallos in der ersten Maiennacht in Brand gesteckt,

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