Da hilft nur noch beten
Feuer und Flamme für Berlin, um dem Senat glaubhaft mitzuteilen, daß von den vielen, vielen Millionen der B 750-Jubelfeier ein paar Märker doch bitteschön auch für sie abzuzweigen wären.
Wie wahrscheinlich war es, daß der Yemayá-Entführer aus einer solchen Gruppe kam? Nicht sehr, fand er, diese Typen interessierten sich kaum für Filme, wie Jessi sie drehte, waren auch zu wenig geübt im Umgang mit Babys, mochten auch ideologisch-moralische Hemmungen haben, eine solche fiese Tat zu begehen.
Bis zum Kottbusser (neuerdings wegen seiner Verwahrlosung auch: Kotzbusser) Tor fuhr er nun vorwiegend an Uraltbauten vorüber, und obwohl er seine Sinne wie ein Wünschelrutengänger schärfte, gab es nirgendwo ein feines Prickeln, den elektrisierenden Impuls: Steig aus, da ist es! Wie denn auch? Von Psi-Phänomenen hielt er wenig bis nichts. Nur das eine schälte sich in seiner Vorstellung immer stärker heraus: daß Yemayá in einer Neubauwohnung gefilmt worden war. Aber diese Erkenntnis entsprang auch weniger hellseherischen Gaben und einer besonderen Intuition als vielmehr der Rückerinnerung an den abgespielten Film, an die Perspektiven wie die Höhe des Raumes, bestenfalls zweisechzig. Und Neubauten kamen, wie er wußte, massiert erst zwischen Kottbusser und Halleschem Tor; da hieß es also warten.
Kottbusser Tor war keine der schon vor fast neunzig Jahren erbauten Stationen, noch mit Stahl und Eisen, die geschmiedet und geformt worden waren wie fünftausend Jahre lang der Stein, sondern ein kantig-gradliniger Neubau vom Ende der zwanziger Jahre, funktionalistisch und streng, und vom breiten Mittelbahnsteig konnte man über lange, sprungschanzensteile Treppen von der Hochbahn zu einer echten Untergrund-Linie hinuntergelangen, dem dunkelblauen stadtdurchkreuzenden Strich, der 8, zwischen den Endzielen Neukölln und Reinickendorf wählen, wobei man, was ihn als Jungen immer überaus fasziniert hatte, beim Abstieg ein Stückchen auf der Straße gehen mußte, auf deren Niveau von Gittern eingezwängt wie in einem Käfig steckte, damals noch von vorbeipolternden Straßenbahnen geschreckt.
An der Rolltreppe standen schon, absolut verabredungsgemäß, die beiden anderen und hatten, als er ausgestiegen und zu ihnen hingegangen war, ebensowenig Positives zu melden wie er.
«Das hat doch alles keinen Sinn!» sagte Corzelius mit aggressivem Unterton. «Die werden doch kaum so dußlig sein und sich mit dem Baby im Arm direkt am offnen Fenster sehen lassen!»
«Eben!» rief auch Jessica. «Es ist besser, wir fahren nach Hause, holen das Geld von der Bank und warten dann auf’n nächsten Anruf von ihnen.»
«Ich fahr lieber noch mal rum hier!» beharrte Mannhardt aber.
«Bitte! Wir nehmen uns jedenfalls ‘ne Taxe – und dann ab hier!» Corzelius faßte Jessicas Arm und dirigierte sie zum Ausgang hin. «Kommst du eben nach.»
«Ja, sicher!»
Mannhardt war ein wenig eingeschnappt darüber, daß sie sich nun seinem Kommando entzogen, beschloß aber, alles protestlos hinzunehmen, denn vielleicht war es mit seiner Kompetenz und seiner Fortune doch nicht ganz so weit her, wie er geglaubt hatte.
Die beiden winkten nicht einmal, als sie nun die Treppe hinunterstiegen.
Er brauchte keine drei Minuten zu warten, da kam der nächste Zug in Richtung Innenstadt, und er stieg wieder ein.
Es gelang ihm, auch in diesem Wagen den immer begehrten Platz an der Tür einzunehmen, in Fahrtrichtung sogar, und als sich der Zug in Bewegung setzte, war er hellwach, nun gerade!
Doch bis zur Prinzenstraße wieder nichts als Fehlanzeige: keine Windel, kein Baby, kein Vorhang von halbwegs goldbrauner Farbe, nichts, was im ersten Stock, vielleicht auch noch im zweiten, zugezogen war und irgendwie Verdacht erregte.
Prinzenstraße wurde erneut auf seiner Seite ausgestiegen, also in Fahrtrichtung rechts, und er erinnerte sich an seine Tante Leska, Valeska eigentlich, die hier gewohnt und die er immer nur ungern aufgesucht hatte, weil sie, kinderlos geblieben und nie über diesen Tatbestand hinweggekommen, in ihrem Schmerz auf die Idee gekommen war, sich ihre letzte Fehlgeburt, einen weißwurstgroßen Fötus, in einem Glas voll Spiritus oben auf ihr Vertiko zu stellen; war Krankenschwester gewesen und hatte dies wohl arrangieren können. Bei dieser Hochbahnstation führten überdachte Fußgängerbrücken von den Seitenbahnsteigen auf die Bürgersteige hinüber und hinunter, und schon beim Entlangschreiten dieser Stege hatten ihm die Knie
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