Da liegt ein Toter im Brunnen - ein Krimi mitten aus der Provinz
rief Bernstein.
In diesem Teil von Bad Löwenau, unmittelbar hinter dem Vorzeigemarktplatz, gab es keine Fachwerkbauten mehr und auch kein Kopfsteinpflaster. Die Siebziger-Jahre-Fassaden waren schmucklos, am Straßenrand parkten ausschließlich Klein- und Mittelklassewagen.
»Wir sind da. Die Wohnung liegt im zweiten Stock«, sagte Bernstein vor einem Mehrfamilienhaus.
Sie klingelten. Niemand öffnete. Sie klingelten Sturm. Vergeblich. Schließlich versuchten sie es bei einem Nachbarn, der sie in den Hausflur ließ.
Sie stürmten die Treppe hoch und erreichten keuchend die Wohnungstür. Sie klingelten wieder, hörten drinnen Geschrei und Gepolter und begannen, an die Tür zu hämmern. Schließlich öffnete eine junge blonde Frau in einem Trainingsanzug, sie war tränenüberströmt.
Bernstein und Rubin drängten sich an ihr vorbei in die Wohnung, liefen einen kurzen Flur entlang und kamen in ein kleines Wohnzimmer. Abrupt blieben sie stehen. Hassan und ein Mann von bärenhaften Ausmaßen mit hölzernen Bewegungen kämpften miteinander, hasserfüllt und schnaubend. Sie schlugen blindwütig aufeinander ein und stießen auf Türkisch und Russisch Beleidigungen aus. Auf dem Boden lagen Blumenvasenscherben, zersprungene Zierteller und zwei Bierflaschen.
Rubin und Bernstein stürzten auf die Kampfhähne los; Rubin nahm sich Hassan vor, Bernstein den Russen, Freitag bellte irritiert und fixierte Rubin, ohne sich von der Stelle zu rühren.
Bernstein stieß einen scharfen Schrei aus, brüllte etwas auf Russisch und verpasste dem Hünen einen gezielten Hieb gegen die Schulter. Er prallte gegen den Wohnzimmerschrank. Es gab einen dumpfen Schlag, Porzellanfiguren und grellbunte Matroschka-Puppen fielen zu Boden. Der Russe verharrte benommen.
Die junge Frau im Trainingsanzug stand abseits, zitterte und weinte stumm.
Hassan versuchte die Situation zu nutzen, da der Russe vorübergehend kampfunfähig war, und wollte ihm eine verpassen. In letzter Sekunde konnte Rubin ihn daran hindern. Er packte Hassan am Ärmel. Der entzog sich allerdings dem Griff und schrie: »Finger weg!«
Er setzte an, dem Hauptkommissar einen Schlag zu verpassen, doch Rubin war schneller. Er holte mit der linken Faust aus und traf Hassan am linken Auge. Der schrie und taumelte, Freitag jaulte, und Rubin erwartete Gegenwehr. Doch nichts geschah. Hassan sank auf ein Sofa und presste sich die Innenfläche seiner Hand aufs Auge. Er stöhnte unter den argwöhnischen Blicken des Russen, der sich schon wieder erholt hatte, und zischte etwas auf Türkisch. Dann hellte sich seine Miene auf. In seinem unversehrten Auge ließ er ein kühles Lächeln blitzen.
»Respekt, Herr Kommissar, Sie haben eine gute Linke.«
»Was geht hier vor?«, rief Rubin.
In diesem Moment setzte der Russe hinter seinem Rücken zu einem Angriff auf ihn an. Bernstein erkannte die Absicht und sprang dazwischen. Sein rechter Aufwärtshaken traf den Russen ungebremst am Kinn und streckte ihn zu Boden. Ein glatter Treffer, der ihn nicht weniger schmerzte als den Getroffenen. Die junge Frau schrie auf, der Russe sagte gar nichts, dann rappelte er sich wieder auf die Beine und presste ein Lachen hervor.
Rubin starrte entsetzt auf Bernsteins Schlaghand, die er mit verzerrter Miene gegen die Brust drückte.
»Alles in Ordnung?«, erkundigte sich Rubin.
Bernstein nickte.
»Nix passiert«, sagte der Russe mit einer dunklen, schwerfälligen Stimme. »Alles okay. Kein Ärger, Kinn tun weh, Hand tun weh, sonst nix!«
»Natürlich«, sagte Bernstein, »ihr habt nur Geschäftsverhandlungen unter Gentlemen geführt.«
»So ist«, nickte der Russe.
Rubin musterte ihn scharf und sagte: »Sie heißen Igor, nicht wahr?«
»So ist.«
»Und Sie waren gestern Nachmittag bei Serkan.«
»So ist.«
»Ist das der Grund für diesen Kampf?«
»Welche Kampf? Hier kein Kampf«, sagte Igor mit einem süffisanten Lächeln.
»Worum ging es gestern mit Serkan?«, fragte Rubin.
Igor bedachte Hassan mit einem verächtlichen Blick und brummte: »Serkan hat geliefert Scheißware!«
»Das ist nicht wahr, Dreckskerl!«, rief Hassan.
»Ist so: Computer war in Arsch. Serkan gelogen!«
»Vorsicht, du …«
Hassan sprang vom Sofa auf und nahm erneut Angriffshaltung an. Rubin trat einen Schritt vor und sagte ohne Hast, jede Silbe betonend:
»Halt endlich den Mund, Hassan!«
Und zu Igor gewandt: »Gab es einen Streit zwischen Ihnen und Serkan?«
»Streit unter Freunde.«
»Hat der Streit Ihr Problem
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