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Da vorne wartet die Zeit: Roman (German Edition)

Da vorne wartet die Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Da vorne wartet die Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilly Lindner
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ihm zugeflüstert: »Ich finde es toll, dass du die Erbse bist! Sonst hätte ich gar nicht die Prinzessin sein wollen. Es ist nämlich todlangweilig allein auf diesem dämlichen Berg von Matratzen.«
    So sind sie Freunde geworden.
    Die Prinzessin und die knallgrüne Erbse.

    Kathy und Edward. Sie kennen sich eigentlich schon immer. Sie waren im selben Kindergarten, auf derselben Grundschule, auf derselben Oberschule, und nun wohnen sie seit einem Jahr in derselben Wohnung.
    Und was tun sie?
    Sie schweigen sich an.
    Es gibt längst nichts mehr, das sie verbindet. Zwischen ihnen herrschen Belanglosigkeit und unausgesprochenes Schweigen. Sie sehen sich an. Hilflos. Fraglos. Sie hatten sich doch einmal so viel zu sagen. Wo sind all die Worte hin? Und was soll von hier an noch geschehen?
    Alles. Nichts.
    Vielleicht hilft eine Revolution – eine grundlegende Umwälzung aller beziehungstechnischen Gewohnheiten. Aber warum so viel Mühe, für so wenig Liebe? Er könnte bestimmt mit einem anderen Mädchen glücklich werden, und sie mit einem anderen Jungen. Sie sind doch beide erst neunzehn Jahre alt. Sie müssen sich noch nicht binden, sie müssen noch nicht für immer beieinander sein. Sie können beide ihres Weges gehen, und vielleicht kreuzen sich diese Wege erneut.
    Wer weiß. Vielleicht.
    Irgendwann.

    Kathy und Edward. Seit fünfzehn Jahren ein Dasein. Sie hat noch nie einen anderen Jungen geküsst, er hat noch nie ein anderes Mädchen berührt. Ja. Vielleicht hätten die beiden sich schon längst trennen sollen, aber sie kommen einfach nicht voneinander los. Schon damals, im Kindergarten, als sie sich zum ersten Mal gesehen haben, konnten sie ihre Augen nicht voneinander lassen.
    Aber heute sehen sie aneinander vorbei.
    Mit Absicht?
    Mit Weitsicht?
    Sie wissen es nicht.
    Sie wissen gar nichts mehr.

    Kathy fängt an zu weinen. Sie liebt Edward sehr, und sie weiß, er liebt sie auch. Aber wohin zieht man sich zurück, wenn alle Räume enger werden? Wer begrenzt den Verlauf eines jeden Augenblicks, wenn die Blicke, die man austauscht, sich nicht mehr treffen? Wo kommt man an, wenn man aufgehört hat, sich zu bewegen? Und wie findet man zurück, wenn man nicht weiß, aus welcher Richtung man gekommen ist?
    »Niemand«, wispert Kathy. »Niemand kann diese Fragen beantworten. Abgesehen von dir. Und Liebe allein ist kein Versprechen. Das wissen wir beide. Aber wir vergessen es – einstweilen.«
    Edward legt seine Arme um Kathy.
    Er hat kein Wort verstanden.
    So leise war ihre Stimme.
    »Bitte weine nicht«, flüstert er ihr zu. »Bitte, Kathy, sei nicht so traurig. Wir kriegen das schon hin. Weißt du noch, zusammen schaffen wir alles!«
    Da lächelt Kathy unter Tränen, obwohl sie weiß, dass es nicht mehr funktionieren wird.
    Und er weiß es auch.
    Sie haben einfach nur Angst sich zu trennen. Denn wenn sie es nicht schaffen, Freunde zu bleiben, was sind sie dann?
    Fremde. Nichts weiter.
    Aber wie könnten sie jemals Fremde werden.
    Nach all diesen vertrauten Jahren.

    Kathy und Edward. Sie stehen voreinander. Um sie herum tobt laut die Musik. Aber sie haben alles ausgeblendet. Sie haben beide das Gefühl, sie seien zu zweit allein in einem abgeschlossenen Raum ohne Licht. Dabei stehen sie im Off Road, dem angesagtesten Club der Stadt. Der coole Barkeeper, der sonst immer da ist, hat heute frei, und die Leute rufen: »Hey! Wo ist Rain!? Die Cocktails fließen nicht ohne Rain!«
    Aber der Junge und das Mädchen hören gar nicht hin, was die tanzenden Menschen rufen. Sie sind zu vertieft in ihre Abschiedsgedanken. Sie wollen ihre Hände nacheinander ausstrecken und sich nie wieder loslassen, als Zeichen dafür, dass sie alles versucht haben.
    Alles. Und mehr.
    Doch sie wissen, dass dies der Punkt ist, an dem sie es beenden müssen. Sie schieben diesen Augenblick schon seit Monaten vor sich her. Und so tritt Edward schließlich einen Schritt zurück von Kathy, weil er weiß, dass sie darauf wartet, dass er diesen ersten letzten Schritt tut.
    Kathy blinzelt im Licht der wirbelnden Discokugel. Sie hat Angst. Sie hat furchtbare Angst.
    Aber dann tritt auch sie.
    Einen Schritt zurück.
    Kathy und Edward. Zwei Schritte trennen sie nun voneinander, zwei unendliche Schritte. Aber jeder von ihnen muss nur einen einzigen Schritt nach vorne tun, um diesen Raum wieder zu schließen.
    Das verstehen sie beide.
    In diesem offensichtlichen Bild.
    Ihre Augen finden sich. Ihre Augen treffen sich. Und auf einmal wissen sie beide: Es ist

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