Da vorne wartet die Zeit: Roman (German Edition)
egal, wie schwer diese Zeit zu ertragen ist. Es ist egal, dass Edward oft schlechte Laune hat, weil er keinen Studienplatz findet und auch keinen Job. Es ist egal, dass seine durchgeknallte Mutter betrunken durch die Straßen zieht und mit fremden Ehemännern schläft und seine große Schwester Evelyn schon als kleines Kind von zu Hause abgehauen ist, nur um nie mehr wiederzukommen, weil sie es nicht ausgehalten hat, von den betrunkenen Freunden der Mutter angefasst zu werden. Und es ist auch egal, wie traurig Kathy ist, dass ihre Cousine Jenny im Alter von vierzehn Jahren an Krebs gestorben ist. Es ist egal, dass sie sich jeden Abend in den Schlaf weint, es ist egal, wie hässlich und schwer zu ertragen die Welt um sie herum manchmal ist.
Ja, es ist egal, wie müde sie sind.
Wie verletzt, wie einsam und wie enttäuscht.
Denn zusammen werden sie wieder aufwachen, an einem neuen Tag, in diesem wunderschönen Leben. Zusammen werden sie diese Zeit überstehen und über die Schlaglöcher des Schicksals hinwegschreiten.
Kathy und Edward. Sie lächeln sich an. Denn auf einmal wissen sie ganz genau: Mutige Liebe ist mehr wert als Angst.
Er nennt ihren Namen.
Und sie nennt seinen.
Als hätten sie vergessen, wie man sich anspricht, um sich zu erreichen. Doch nun erinnern sie sich wieder. Und sie erinnern sich auch daran, wie schön es war, als Prinzessin und als knallgrüne Erbse verkleidet von einem Stapel Matratzen aus auf die überschaubare Zeit hinabzublicken.
Kathy und Edward. Sie gehen beide einen Schritt aufeinander zu, um gemeinsam von diesem Standpunkt aus einen neuen Weg zu finden.
Ihre Hände tasten nacheinander.
Ihre Hände finden sich.
So wunderschön.
Die Zeit.
Ja sie bekommen gar nicht mit.
Wie die Decke über ihnen einstürzt und das Off Road in einer Wolke aus Staub und Gebäudeteilen für immer seine Tore schließt.
Und alle anwesenden Nachtschwärmer.
Mit sich ins Ende zieht.
26
I sabella May, das schönste Mädchen in der Stadt am Waldrand, das sanftmütigste Lächeln, die ehrlichsten Augen. Sie hat ein ungeschlagenes Herz, stark und anmutig im Auftakt. Sie ist das Dasein, das alle berührt, obwohl niemand sie zu berühren vermag.
Unantastbarkeit ist ihr Geheimnis.
Ein Versprechen an sich.
Zu überleben.
Und wie sie lebt, dieses atemberaubende Mädchen, mit ihren goldbraunen Herbstaugen und den glühenden Sommersprossen auf ihrer puderweißen Winterhaut. Wie sich ihre gebrochenen Knochen verstecken, unter ihrer vernarbten Hülle. Wie sie lächelt, in den kaputten Nächten. Wie sie ihn betritt, den Zeitsprung der Vergangenheit, in dem sie sich wieder und wieder verliert.
Aber Isabella hat keine Angst mehr.
Nicht vor den Nächten.
Nicht vor den Tagen.
Denn sie weiß: Alles hier.
Ist endlich.
Isabella May, sechsundzwanzig Jahre alt, seit zwei Jahren verheiratet, seit zwei Jahren geborgen – aus dem Geröll und den Trümmern ihrer Vergangenheit. Ihr Mann kennt jeden Teil ihrer Geschichte, auch wenn die Teilung eines Menschen im Innersten, verursacht durch fremde Gewalt, niemals wirklich nachzuvollziehen ist, für diejenigen, die Zärtlichkeit verwalten. Er arbeitet als Arzt auf der Intensivstation, aber egal wie anstrengend seine Tage sind, egal wie oft er nachts ins Krankenhaus gerufen wird – die Geduld, mit der er Isabella entgegentritt, ist beständig. Keine Geste von ihr, die er übersieht, kein Schweigen, das er überhört, kein Atemzug, den er nicht wiedererkennt.
Es gibt Tage, da vergisst Isabella, warum sie bei ihm ist. Ja. Es gibt Morgen, da wacht sie auf, betrachtet den Mann an ihrer Seite, und fragt sich, warum sie nicht davonrennt, so wie sie es in all den Jahren zuvor getan hat. Ihre Gedanken kreisen sich gegenseitig ein, bis sie sich überrunden; aber eine Antwort auf die Stille findet sie nicht. Doch dann, irgendwann, aus dem Nichts heraus, ergibt sich ein Gefühl.
Und schließlich ist es okay.
Zu bleiben.
Isabella May. Sie ist so sanftmütig wie Schneegestöber, so verspielt wie Herbstblattgefälle, so einzigartig wie Eiskristallsterne, so unbeirrt wie die Zeit und ihre Wege.
Isabella May. Sie hat sie alle gesehen, die bunten und die grauen Stunden. Sie hat sie alle erkannt, die nackten und die bedeckten Fehler.
Sie war immer dabei.
Raum für Raum. Gebend.
Mittendrin im Zusammenhang.
Und sie wusste von Anfang an: In jedem noch so schönen Augenblick, in jedem glasklaren Moment, liegt irgendwo ein nebelbleiches Rauschen verborgen. Man muss es nicht
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