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Dabei und doch nicht mittendrin

Dabei und doch nicht mittendrin

Titel: Dabei und doch nicht mittendrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haci-Halil Uslucan
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verfasste Gesellschaften, wie etwa sichtbar bei der Ausgrenzung der Vietnamesen in der früheren DDR.
    Zudem ist Integration (von Mehrheiten wie Minderheiten) immer ein temporäres Phänomen. Menschen sind stets in bestimmten für sie bedeutsamen sozialen Konstellationen in gesellschaftliche Zusammenhänge integriert, gleichwohl genießen sie die Freiräume jenseits enger sozialer Einbindung. 27 Vor diesem Hintergrund muss es natürlich auch Migranten gestattet sein, einfache »couch potatoes« zu sein, sich nicht immer und zu allen Fragen gesellschaftlich positionieren zu müssen, um ihren »integrativen Anteil«, ihren Integrationswillen zu dokumentieren.
    Eine andere Form der Stressminderung bringt die Rückzugstendenz in landsmannschaftliche Gruppen und Migrantenselbstorganisationen, die insbesondere in der Anfangsphase der Migration durchaus funktional sein kann. Denn die Einbindung in ethnische
Communities
kann – jenseits von Spekulationen, sie würden der Separation Vorschub leisten –, gerade eine stärkere soziale Integration beflügeln. Die Vergewisserung der individuellen Identität, das Gefühl der Zugehörigkeit, unter anderem durch einen gemeinsamen, Sicherheit verleihenden Sprachgebrauch, festigt den eigenen Standpunkt und gibt den notwendigen Rückhalt, um sich den neuen Herausforderungen und Anforderungen zu stellen, sich mit diesen reflexiv auseinanderzusetzen.
    Hier können etwa Migrantenselbstorganisationen, wie die Türkische Gemeinde Deutschlands (TGD), als Organe der Interessenvertretung der Minderheiten, Druck auf die Mehrheitsgesellschaft ausüben, auf bestehende Vorurteile und Diskriminierungen hinweisen und zu ihrer Verminderung beitragen. Somit stärken sie zum einen die kollektive Handlungskompetenz von Minderheiten und ermöglichen ihnen aber auch, häufiger am gesamtgesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Insofern stellen sie eine wichtige Ressource für und von Migranten dar. 28
    Problematisch ist die starke Einbindung in eigenethnische Netzwerke dann, wenn diese soziale Kontrolle ausüben und dadurch die Binnenvielfalt unterdrücken (zum Beispiel nur eine bestimmte Deutung und Auslegung der Religion zulassen), aber auch, wenn die Einbettung des Einzelnen sich so verfestigt, dass kaum Mobilität mehr vorhanden ist. Das ist der Fall, wenn die Person den Sprung in mehrheitsgesellschaftliche Betriebe, Institutionen oder Quartiere nicht schafft.
    Geschlossene Viertel von Migranten erregen in Deutschland viel Aufmerksamkeit, darauf hat Uwe Hunger hingewiesen, weil sie letztlich die öffentliche Hand und dadurch indirekt den einzelnen Bürger tangieren. In Gesellschaften, in denen der öffentliche Sektor schwach ist, die kein so ausgebautes Wohlfahrtssystem wie Deutschland haben, so etwa die USA, und bei denen Bürger selber ihre Organisationen finanzieren, sind »china towns« oder »little Italys« kaum ein skandalisierungswürdiges Thema; denn die befürchteten Folgen solcher Segregationen (wie etwa Armut und Arbeitslosigkeit) fallen nicht dem Staat zur Last. In Deutschland stellt sich die Situation anders dar, weil der Wohlfahrtsstaat hier auch Leistungen für Einwanderer und deren Organisationen anbietet. 29

Migration und Integration aus psychologischer Sicht
    Die sozialpolitische Diskussion um die Integration von Migranten wurde und wird zum Teil immer noch in einigen Kreisen – so etwa Horst Seehofer in einem Interview mit der Zeitschrift
FOCUS
30 – von einer Inkompatibilität der Kulturen (»fremde Kulturkreise«), von einem
»
Kulturkonflikt
«
-Ansatz geprägt. Kern dieser Vorstellungen ist, dass die Orientierungen und Erwartungen von Minderheiten von Werten diktiert werden, die unverträglich mit denen der Mehrheitsgesellschaft seien. Dieser Ansatz bezieht sich nicht nur auf Individuen, vornehmlich Migranten, sondern wird auf die soziale Ebene, auf eine (Werte-)Konfrontation der Aufnahme- und Entsendegesellschaften ausgeweitet: Nicht nur die einzelnen Türken hier, sondern die gesamte Türkei, nicht die einzelnen Muslime hier, sondern der Islam insgesamt sei mit »unserem Verständnis« des richtigen, guten Lebens unvereinbar. Mit Blick auf Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund wird argumentiert, dass sich ihnen in ihrem schulischen Alltag die Aufgabe stellt, ihr kulturelles Bezugssystem zu wechseln und sie dabei persönliche Veränderungsprozesse erleben, die mit einem kulturellen Konflikt einhergehen. Dieser Umstand wird gerne mit der Metapher

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