Dabei und doch nicht mittendrin
Zusammenhang von Migration und Integration verweist und zugleich die Notwendigkeit betont, diese Prozesse politisch zu gestalten. Zum anderen geht es bei der Integration – und darauf will ich mein Augenmerk legen – um ihre öffentliche Kommunikation, die oft von einem Scheitern, von kulturellen Überfremdungen und unüberbrückbaren Gräben, inkompatiblen Lebensentwürfen von Einheimischen und Zugewanderten ausgeht.
Diese Prozesse sind jedoch nicht getrennt zu sehen, sondern stehen miteinander in Beziehung, denn natürlich beeinflussen auch die öffentlichen Signale die Integrationsbereitschaft der Zuwanderer, die in subtilen Abwehrmechanismen und nur schwer erfüllbaren Anforderungen, wie dem »Gesinnungstest« in Baden-Württemberg, bestimmten Migrantengruppen ein prinzipielles Sicherheitsrisiko unterstellen. Diese bringen sich aus Abwehr dann in der Tat weniger in die Gesellschaft ein, was wiederum in Einzelfällen als Beleg für die Richtigkeit der unterstellten Integrationsresistenz und des Misstrauens gedeutet wird. 23
In der Sozialpsychologie ist seit langem bekannt, dass im Akkulturationsprozess unterschiedliche Druck- und Stresssituationen wirksam sind: Je nachdem, ob Menschen als Touristen oder als Flüchtlinge in ein Land kommen, ob ihr Aufenthalt zeitlich befristet (zu Studienzwecken) oder auf Dauer angelegt ist (so etwa eine Migration), erleben sie einen unterschiedlichen Grad an Stress und Veränderungsdruck. Der Grad der Freiwilligkeit des Verlassens des Heimatlandes und die Differenz zwischen den bereits im Sozialisationsprozess erworbenen eigenkulturellen Verhaltensgewohnheiten und den fremdkulturellen Anpassungsleistungen sind wichtige Momente, die die verschiedenen Akkulturationsverläufe erklären. So ist seit langem bekannt, dass sowohl Flüchtlinge als auch deren Kinder einen größeren Akkulturationsstress erleben als freiwillige Migranten. 24
Abhängig davon also, wie stark der Einzelne in die Migrationsentscheidung selbst eingebunden war, ist auch mit unterschiedlicher Verantwortungsübernahme für den Erfolg der Migration und der Integration zu rechnen. Eine unfreiwillige Migration als Jugendlicher zum Beispiel kann ein Hinweis auf eine stark hierarchische Familienform sein, was eine Integration erschwert, während die Freiwilligkeit der Migration Offenheit für neue Erfahrungen und eine Vorbereitung bereits im Herkunftsland signalisieren kann. 25 Eine selbst initiierte Migration ist daher eher mit einem gelingenden Akkulturationsverlauf assoziiert als eine reaktive, unfreiwillige Migration. 26 Auch scheint es denkbar, dass »Pioniermigranten« sich stärker zur Aufnahmegesellschaft hinwenden als »Kettenmigranten«, die auf bereits existierende Netzwerke und Verbindungen mit Mitgliedern der Herkunftskultur stoßen und weniger Änderungsdruck verspüren. So fühlen sich Türken in Berlin-Kreuzberg bei gleicher Aufenthaltsdauer wohler als Türken in einer kleinen Provinz wie im süddeutschen Weingarten, gleichwohl sie geringere Integrationswerte in die Mehrheitsgesellschaft zeigen, dafür aber verlässliche Sozialkontakte mit Mitgliedern der eigenen Ethnie geknüpft haben.
Integrationsgeschwindigkeit und -modus hängen nicht zuletzt von den kulturellen und sozialen Distanzen zwischen Aufnahme- und Entsendekultur ab: Je größer dabei die Unterschiede, je unähnlicher die sozialen Kontexte einander sind, desto schwieriger wird die Integration. So müssen türkische Migranten nicht nur einen Prozess der lebensweltlichen Reorientierung in Deutschland durchlaufen, sondern ein – verglichen etwa mit spanischen oder italienischen Migranten – weitaus höheres sowohl technologisches wie soziales Entwicklungsgefälle als auch eine stärkere symbolisch-kulturelle (Sprache, religiöse Orientierung, Wertvorstellungen) Verschiedenheit verarbeiten. Auf der einen Seite ist der Akkulturationsstress dort stärker, wo die Diskrepanzen zwischen Herkunfts- undAufnahmekultur größer sind, auf der anderen Seite federn aber pluralistische Gesellschaften (wie die bundesrepublikanische) mit ihren hohen Toleranzschwellen für andersartige Lebensweisen sowie flexiblen Moralvorstellungen einen Teil des Stresses ab. Deshalb müssten Migranten, allein aus Eigeninteresse, bestrebt sein, die plurale Verfassung der Bundesrepublik zu verteidigen und sich noch mehr für plurale Lebensentwürfe zu engagieren. Denn deutlich größer ist der erlebte Stress für Migranten bei Einwanderung in uniforme, autoritär
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