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Dabei und doch nicht mittendrin

Dabei und doch nicht mittendrin

Titel: Dabei und doch nicht mittendrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haci-Halil Uslucan
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gehässiger Einzelstimmen, die gerne aufgrund ihrer Bauchgefühle und hochselektiv geführter Einzelinterviews (wie etwa in Jugendstrafanstalten) »Parallelgesellschaften« konstruieren möchten, zeigen Daten der empirischen Forschung, dass der deutlich überwiegende Teil der Migranten in Deutschland an ihrer Integration interessiert sind. 21 Denn im wohlverstandenenEigeninteresse ist das auch die mitunter vernünftigste Option für sie: Mit einer besseren Integration ist der Zugang zu wichtigen Ressourcen wie etwa Wohnung, Arbeit, Bildung, politische Partizipation verbunden. Warum sollten deshalb Migranten kein Interesse an ihrer besseren Integration haben? Populistische Begriffe wie »Integrationsverweigerer« oder »Integrationsresistente« psychologisieren menschliche Lebenslagen, vermuten dahinter beabsichtigte Abkapselungen, ohne die strukturellen Hindernisse (so etwa auf dem Arbeits-, dem Bildungs- und dem Wohnungsmarkt) zu sehen, die manchmal den Betroffenen selbst nicht ersichtlich sind.
    Unvergesslich, weil schmerzlich, bleibt mir als Beispiel der Ausgrenzung und Diskriminierung meine eigene Wohnungssuche Ende der 90er Jahre: Wie viele, die den sozialen Aufstieg geschafft haben, wollte ich meine Wohnsituation verbessern und bewarb mich um eine freie Wohnung in Berlin-Wilmersdorf. Dabei setzte ich auch den Doktortitel strategisch ein und sprach meinen Nachnamen recht schnell und in einem akzentfreien Deutsch aus, in der Hoffnung, keine Spuren im Gedächtnis des Vermieters zu hinterlassen. Nachdem Merkmale wie Familiengröße und Liquidität für passend befunden und für den nächsten Tag ein Vorstellungstermin ausgemacht worden war, war die Freude bei uns natürlich groß. Kurz vor dem Termin sollte ich anrufen, um die Unterlagen bereits vorab vorbereiten zu können. Bei meinem Anruf zur vereinbarten Stunde sollte ich dann meinen ganzen Namen buchstabieren: Haci-Halil Uslucan. Noch heute hallt mir die stammelnde Reaktion des Vermieters in den Ohren nach: »Ich muss nochmal nachschauen … Ich … Ich … glaube, die Wohnung ist schon weg.« Diese Reaktion ließ am ehesten auf ein Motiv schließen: »Ausländer wollen wir in diesem gutbürgerlichen, deutschen Haus nicht haben.«
    Ich habe meine Wut und meinen Frust am Abend einem Freund gegenüber geäußert. Er zuckte nur mit den Achseln und sagte: »Dabist du noch gut weggekommen. Als wir uns voreiniger Zeit um eine Wohnung beworben haben, sagte man uns direkt an der Tür: Für Türken haben wir hier nichts«.
    Diese und ähnliche Erfahrungen können (glücklicherweise) nicht als die Regel betrachtet werden; andererseits sind sie auch nicht so selten, dass man sie völlig ignorieren könnte.
    Hierbei sind jedoch wichtige allgemeinpsychologische Prozesse nicht ganz von der Hand zu weisen: Migranten, die in Deutschland mehrfach Erfahrungen der Hilflosigkeit und Intransparenz in ihrem Alltag erleben, »erlernen« mit der Zeit eine gewisse Hilflosigkeit. Sie erwarten dann auch in anderen, vergleichbaren Situationen Hilflosigkeit, die sie dann entsprechend tatsächlich empfinden, auch wenn sie diese Aufgaben mit ihren verfügbaren Kompetenzen eigentlich bewältigen könnten. Aus der »objektiven« Sicht von Dritten oder der Mehrheitsgesellschaft kann dies als Leistungs- oder Integrationsverweigerung gedeutet werden, weil der Blick von außen die biographische Dimension, die vorangegangenen Erlebnisse der Hilflosigkeit, etwa in der Heimat, nicht erkennt. Denn die Wahrnehmung und Interpretation der Situation, nicht immer die objektiven Bedingungen der Kontrollierbarkeit, sind entscheidende Determinanten von Hilflosigkeit. Halte ich meine Situation für ausweglos, dann sehe ich auch eine offene Tür nicht.
    Die politische Implikation dieser Theorie ist es, gesellschaftliche Institutionen und Prozesse transparenter, kontrollierbarer zu gestalten, und zwar für alle, nicht nur für Migranten allein.
    Darüber hinaus fokussieren Fragen der Integration zum einen auf die organisatorische Seite, die versucht, über politische Zuständigkeiten das Integrationsgeschehen zu beeinflussen und zu begleiten. 22 Zu diesen Akteuren zählen etwa das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sowie der Nationale Integrationsplan der Bundesregierung, aber auch das »Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgernund Ausländern«, das sogenannte »Zuwanderungsgesetz«, das eindringlich auf den

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