Dabei und doch nicht mittendrin
feststellen, dass die Gewaltakzeptanz türkischer Jugendlicher, also die geistige Vorstufe zur körperlichen Gewalt, auch bei einer statistischen Kontrolle des Einflusses des besuchten Schultyps höher war; sowohl auf dem Gymnasium als auch auf den Hauptschulen billigten sie Gewalt als ein Mittel, eigene Interessen durchzusetzen, eher.
Will man dem Phänomen umfassend Rechnung tragen, so muss man auf die Ursachen eingehen. Unbestritten liegen sie zum großen Teil in den familialen Sozialisationsfaktoren, wieetwa in der eigenen Erfahrung von Gewalt durch Eltern und Geschwister, in der inkonsistenten, unberechenbaren Erziehung durch Eltern, der Favorisierung männlicher Dominanz und Stärke bei der Erziehung der Söhne. Aber auch der Einfluss der subtilen Diskriminierung im Alltag ist dabei nicht zu unterschätzen. Und damit meine ich nicht jene diskursive Diskriminierung selbstgerechter Panikmacher, die die Vorherrschaft über die Debatte um die »unrettbar verlorenen« türkischen Jungen beanspruchen; denn die Jugendlichen lesen glücklicherweise kaum diese hasserfüllten Tiraden über sie. Vielmehr sind damit reale Alltagserfahrungen der Abwertung und Ausgrenzung gemeint: So hat Christian Babka von Gostomski in einer sehr differenziert angelegten Studie 54 herausgearbeitet, dass bei einem nur ethnisch durchgeführten Vergleich türkische Jugendliche schon häufiger in Prügeleien verwickelt waren als Aussiedlerjugendliche und Einheimische. Im nächsten Schritt sind die Alltagserfahrungen mit Blick auf wahrgenommene Anerkennungsdefizite abgefragt worden. Dabei wurden sowohl institutionelle, wie etwa eine andere, ungleiche Behandlung auf Behörden, ungleiche Zugangschancen zu gesellschaftlichen Ressourcen, als auch sozial-strukturell-familiale Benachteiligungen wie etwa durch einen rigiden Erziehungsstil der Eltern, der individuelle Wünsche und Bedürfnisse wenig respektiert, aber auch Erfahrungen der Benachteiligung gegenüber anderen Jugendlichen in Diskotheken, Cafés und so weiter berücksichtigt; und hier zeigte sich, dass türkische Jugendliche bei weitem deutlich höhere Anerkennungsdefizite aufwiesen. Denn Anerkennung bedeutet, als ein vollwertiger Partner in sozialen Interaktionen gesehen zu werden, als eine Person zu gelten, die Respekt verdient und diesen auch erfährt. Anerkennungsdefizite sind, jenseits des ethnischen Hintergrunds, bei allen Menschen gewaltaffin und desintegrationsfördernd.
Dennoch ließe sich entgegnen: Na, und? Trotzdem haben sie sich so ordentlich zu verhalten wie Deutsche. Genau dieserSchritt ist abschließend in die Analyse aufgenommen worden: Untersucht wurde, wie sich die Gruppe mit sehr hohen Anerkennungsdefiziten im Alltag verhält. Festgestellt wurde dann, dass deutsche Jugendliche, die genau so hohe Defizite aufwiesen, sogar noch häufiger in Prügeleien verwickelt waren als türkische. Sich Anerkennung und Respekt auch über Gewalt zu verschaffen, ist leider für viele Jugendliche typisch. Nur: Unsere Alltagswahrnehmung sieht lediglich das Phänomen (gewalttätige türkische Jugendliche) und kann (und will?) die ihm zugrundeliegenden Ursachen nicht in eben dieser Direktheit erkennen.
Migranten und ihre Bildung: Stärken und Defizite
Bildung und Migration
Die Engführung dieser beiden Begriffe sowie die Diskussion um gleiche Bildungschancen sind für pädagogische Kontexte und Institutionen ein zentrales Feld. Insbesondere die demographische Entwicklung führt uns vor, warum ein Nachdenken über diese Zusammenhänge unausweichlich ist: So hatte im Jahre 2006 jedes fünfte Kind unter 15 Jahren, jedes vierte Kind unter zehn Jahren und unter fünf Jahren jedes dritte Kind einen Migrationshintergrund. 66 Zugleich zeigen empirische Untersuchungen erschreckend deutlich, dass junge Menschen mit Migrationshintergrund ungünstigeren Entwicklungsbedingungen ausgesetzt sind, die ihre Gründe sowohl im sozioökonomischen Status als auch in ihrer ethnischen Herkunft und – nicht zuletzt im Umfeld der jüngsten Sarrazin-Debatte – auch in den gesellschaftlichen, teils diffamierenden Reaktionen haben. 67 Im schulischen Alltag weisen sie schlechtere Werte in der Bildungsbeteiligung auf, die aber nicht zur Gänze auf ihre geringeren Kompetenzen zurückgehen. Dieser Rückstand in der Bildungsbeteiligung nimmt seinen Anfang recht früh und verfestigt sich bereits in der Schuleingangsphase.
So gibt es Belege dafür, dass insbesondere in den unteren Klassen Migrantenkinder häufiger als
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