Dabei und doch nicht mittendrin
Einheimische die Klasse wiederholen: In den Klassenstufen 1 bis 3 ist die Rate etwa viermal so hoch. Sowohl das Risiko, in eine Sonderschule verwiesen zu werden, als auch das Risiko, von einem anderen Schultyp auf eine Hauptschule heruntergestuft zu werden, ist bei ihnen doppelt so groß.
Werden die Bildungserfolge differenziert nach Herkunftsländern betrachtet, so zeigen sich einige auffällige Unterschiede: Während Schüler mit kroatischem, spanischem und slowenischem Hintergrund eher im oberen Drittel rangieren, belegen Schüler mit italienischen, mazedonischen, türkischen, serbischen und marokkanischen Wurzeln mehr Plätze im unteren Drittel.
Da die öffentliche Aufmerksamkeit sich vielfach auf Türken konzentriert, wird die gleichsam prekäre Situation italienischer Schüler nicht bemerkt, obwohl diese als älteste Zuwanderergruppe die meiste Zeit hatten, Angleichungsprozesse zu vollziehen. Auch weist Italien eine deutlich längere Tradition kultureller und wirtschaftlicher Verflechtung mit Deutschland auf als beispielsweise die Türkei oder Spanien. Dennoch ist der Prozentsatz der Spanier am Anteil der studierenden Allgemeinbevölkerung dreimal so hoch wie die der Italiener; der Anteil der Türken liegt zwischen den Italienern und den Spaniern, wobei es sich hier um junge Erwachsene handelt, die allesamt in Deutschland geboren wurden. Doch wäre nichts falscher, als daraus einen »Nationalcharakter« der integrationsresistenten Italiener abzuleiten; denn die gesellschaftliche Integration der Italiener in der Schweiz ist dort deutlich besser als die der Spanier, aber auch der Italiener in Deutschland. Vielmehr scheinen Selektionseffekte hier von Bedeutung zu sein; das heißt, für die länderspezifischen Unterschiede spielt es eine wichtige Rolle, ob es sich beispielsweise um Menschen aus Süditalien mit einer eher landwirtschaftlich geprägten Beschäftigungsstruktur oder aus dem stärker entwickelten Norditalien handelt.
Zu Beginn der Anwerbung waren die Diskrepanzen zwischen den verschiedenen Ethnien deutlich geringer; diese sind mit zunehmendem Aufenthalt gestiegen. Als Erklärung für den Erfolg der Spanier und Griechen führt Dietrich Thränhardt 68 die vielfältigen Bildungsaktivitäten der Eltern an: Bei Spaniern eine starke, zu Beginn auch ideologisch einheitliche(gegen das Franco-Regime in Spanien gerichtete) Organisation in Elternvereinen, die intensive Bildungsarbeit wie etwa Hausaufgabenbetreuung unternahmen; bei Griechen die Etablierung von griechischen Gymnasien mit hohen Abiturientenzahlen.
Andererseits ist auch auffällig, dass im internationalen Vergleich in Deutschland beträchtliche Differenzen zwischen deutschen Schülern und Schülern mit Migrationshintergrund bestehen. Das mag damit zusammenhängen, dass Deutschland durch Migration eine stärkere Unterschichtung erfahren hat und noch erfährt als andere Länder. Jedoch ist auch die »Kultur des Förderns«, wie es Geissler bezeichnet, in Deutschland deutlich schwächer entwickelt als in anderen Ländern. Deutschland liegt hier auf Rang 26 von 29 teilnehmenden OECD-Ländern. Statt alle Kinder zu befähigen, existieren hier eine Reihe von »institutionalisierten Abschiebemechanismen« für leistungsschwächere Schüler: Klassenwiederholungen und Abstiege in einen niedrigeren Schultyp sind Teil des deutschen Schulalltags, mit denen »Problemfälle« entsorgt werden. Und hiervon sind Schüler mit Zuwanderungsgeschichte deutlich stärker betroffen. 69
Darüber hinaus scheinen auch leistungsunabhängige soziale Filter wirksam zu werden; so gibt es Hinweise in einigen empirischen Befunden, dass unabhängig vom Migrationshintergrund, bei gleichen Fähigkeiten und Leistungen, Jugendliche aus Elternhäusern mit prestigeträchtigeren Berufen, »höheren Dienstklassen«, dreimal häufiger ein Gymnasium besuchen als Facharbeiterkinder. Auch bei der Notengebung und den Empfehlungen für weiterführende Schulen in der Grundschule lassen sich strukturelle Ungleichheiten erkennen: Kinder der unteren Schichten werden etwas schlechter, Kinder oberer Schichten etwas besser beurteilt und benotet als ihre tatsächlichen Leistungen.
Will man die Bildungserfolge und die Gründe für das Scheitern umfassend verstehen, so gilt es – jenseits einseitiger politischerSchuldzuschreibungen wie mangelnder Motivation und Anstrengungsbereitschaft oder genetisch bedingter Intelligenzeinschränkungen – folgende Gesichtspunkte für die ungleichen Chancen im Blick
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