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Dabei und doch nicht mittendrin

Dabei und doch nicht mittendrin

Titel: Dabei und doch nicht mittendrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haci-Halil Uslucan
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Geschwisterzahl in der eigenen Familie oder in der engeren Verwandtschaft auch die Integrationschancen von Migrantenkindern: Die Interaktion mit einheimischen Kindern wird in der Regel seltener, wenn die Anzahl verfügbarer Geschwister beziehungsweise Kinder aus der Verwandtschaft größer ist; das heißt, das Netz an Beziehungen zu gleichaltrigen Kindern außerhalb der Familie ist dann kleiner und die Möglichkeiten, Kontakte abseits des Familienverbands zu knüpfen, werden geringer. In der Regel sorgen aber gerade Gleichaltrige außerhalb der eigenen Familie für eine größere Heterogenität der sozialen Umwelten und stimulieren so Entwicklungen stärker.
Geschwisterbeziehungen
    Während »Schwester von« oder »Bruder von« im Deutschen sprachlich eine symmetrisch-relationale Beziehung ausdrückt – wenn also Peter Bruder von Paul ist, ist auch Paul Bruder von Peter – zeigen sich die prinzipiell asymmetrischen Beziehungen zwischen den Geschwistern – mit ihren unterschiedlichen Respekt- und Schutzimplikationen – im Türkischen auch in der sprachlichen Formulierung: Die ältere Schwester ist die »Abla«, die jüngere die »Kı Z kardeş«; der ältere Bruder ist der »Abi«, der jüngere der »Kardeş«.
    In der traditionellen Konzeption von Sozialisation besteht sowohl zwischen Eltern und Kindern als auch zwischen älteren und jüngeren Geschwistern während der gesamten Zeit des Aufwachsens eine ungleiche Beziehung, die sich über die ganze Lebensspanne hinzieht. So etwa den Respekt betreffend: Während die Pflicht des Kindes gegenüber den Eltern sowie des jüngeren Kindes gegenüber den älteren Geschwistern darin besteht, sie zu achten und ihnen zu gehorchen, stellen Liebe und Sorgedem Kind gegenüber die elterliche Pflicht, aber auch die emotionale Verpflichtung des älteren Geschwisterkinds dar. Den Eltern zu widersprechen, gilt in traditionellen türkischen und islamischen Familien als ein höchst aufsässiges Verhalten und wird keineswegs mit Autonomiebestrebungen des Kindes verbunden.
    Darüber hinaus lässt sich in einigen türkischen Familien auch am Namen des Kindes seine Position sowie die Projektionen auf das Kind ableiten: So werden erstgeborene männliche Nachkommen häufig mit Namen wie »Ümit« (die Hoffnung) oder »Murat« (sehnsüchtiger Wunsch) belegt; Namen, die einen Abschluss der Familienplanung anzeigen mit »Songül« (wörtlich: »letzte Rose«, für ein Mädchen) oder »Durdu« (wörtlich: »es hat aufgehört«). Vielfach geben in traditionellen Elternhäusern die Eltern dem ersten Kind – als Zeichen des Respekts und der generationenübergreifenden Verbundenheit – den Namen der eigenen Eltern. Zu behaupten, das sei charakteristisch für die »türkische Kultur«, wäre zwar falsch, solche Indikatoren jedoch völlig zu ignorieren und die Namensgebung nur als eine modische Laune zu betrachten, würde ebenfalls einen unnötigen Erkenntnisverlust bedeuten.
Weitergabe kulturellen Wissens
    Unbestritten ist, dass Kultur über die Zeit nur fortbestehen kann, wenn sie auch über Generationen weitergetragen wird. Hierfür lässt sich zwischen vertikaler, diagonaler und horizontaler sowie – als Besonderheit in Migrantenfamilien – bidirektionaler Transmission unterscheiden.
    Mit
vertikaler Transmission
ist die Übertragung kultureller Standards von Eltern auf ihre Kinder gemeint, die in der Regel nicht in Form einer Unterweisung, sondern durch das alltägliche Zusammenleben weitergegeben werden. Häufig wird dieser Vorgang auch
Enkulturation
genannt, wogegen die geplante,nicht-zufällige Einwirkung durch die Eltern, die die individuelle Entwicklung beeinflusst, als Sozialisation bezeichnet wird.
    Die zweite Form, die
diagonale Transmission
, erfolgt meist durch andere Erwachsene, wie etwa Lehrer oder Erzieher des Kindes. Während in diesen beiden Formen in erster Linie Erwachsene die Transmission steuern, sind es bei der dritten Form, der
horizontalen
, vorwiegend Gleichaltrige (Peers), die bereits ab der Vorschule und Schule relevant werden für die Vermittlung kultureller Inhalte.
    Im Aufwachsen von Migranten wird jedoch auch eine spezielle Form der Transmission wirksam, die als
bidirektionale Transmission
zu bezeichnen ist. Dabei vermitteln auch Kinder ihren Eltern relevante Inhalte der »neuen« Kultur. Sie »sozialisieren« ihre Eltern, weil ihre sprachlichen und kognitiven Ressourcen größer sind. Damit können aber Statusinkonsistenzen innerhalb der Familie einhergehen, da

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