Dackelblick
nicht geschlafen, so viele Gedanken gingen durch meinen Kopf. Und dann, so gegen vier Uhr morgens, war mir klar: Ich muss mehr Ruhe in mein Leben bringen. Und erst mal herausfinden, was für mich wichtig ist. Herausfinden, wer ich eigentlich bin. Bitte sei mir nicht böse, ich kann nicht anders.«
Marc guckt traurig, aber sagt nichts mehr. Eine Weile sitzen die beiden schweigend nebeneinander, dann verabschiedet sich Carolin, und wir lassen den armen Wagner allein im Café sitzen.
»Sie sagt, sie muss herausfinden, wer sie eigentlich ist. Kann man's denn fassen?« Wieder zu Hause angekommen, klage ich Herrn Beck mein Leid.
»Hast du so einen Quatsch schon mal gehört? Sie ist Carolin Neumann, wer sonst? Sie hat doch bestimmt auch so eine Art Stammbaum, da wird es doch wohl drinstehen, ich meine, mit Namen und allem drum und dran. Oder haben die Menschen das nicht?«
Ich bin wirklich fassungslos. Und das von Carolin - das hätte ich nie gedacht.
»So, jetzt beruhig dich mal, Kleiner. Du hast das falsch verstanden. Natürlich weiß Carolin noch, wie sie heißt.«
Der hält mich wohl auch für blöd. Ich weiß doch, was ich gehört habe!
»Nein, nein, nein! Sie hat wörtlich gesagt:
Ich muss herausfinden, wer ich eigentlich bin.
Wörtlich, Herr Beck, wörtlich! Ich hab's doch nicht auf den Ohren.«
Da kommt mir plötzlich ein ganz neuer Gedanke: Vielleicht geht es der armen Carolin ja wie mir? Und sie ist auch irgendwie nicht so wirklich reinrassig? Oder wie auch immer das bei Menschen heißt, wenn man seinen Vater nicht kennt? Vor dem Hintergrund ist es natürlich einleuchtend, dass sie bei der Partnerwahl nun extrem vorsichtig ist. Sie kann dann ja gar nicht genau wissen, wer besonders gut zu ihr passen würde. Aber als ich Beck diese neue Theorie erläutere, lässt der sich japsend vor Lachen zu Boden fallen.
»Herkules, du bist einmalig! Nu sieh doch endlich mal ein, dass es ein paar grundlegende Unterschiede zwischen Menschen und Hunden gibt. Menschen sind denkende Wesen!«
Na, schönen Dank auch! Als ob ich nicht denken würde! Ich knurre ein bisschen.
»War klar, dass du das wieder in den falschen Hals kriegst und beleidigt bist. Natürlich denken wir auch. Aber der Mensch - oder besser: der ein oder andere Mensch - ist selbstreflektiert. Will heißen: Er denkt ständig über sich selbst nach. Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich?«
»Also, das klingt jetzt noch nicht so besonders, muss ich dir sagen.«
»Ich meine doch im übertragenen Sinne! Carolin will wissen, was sie als Mensch ausmacht. Was sie von anderen unterscheidet. Was für sie selbst wichtig ist. Solche Sachen eben.«
Herrje, ich komme immer wieder auf meine Ausgangsthese zurück: nämlich, dass der aufrechte Gang nicht gut für das Gehirn ist.
»Wie schade, dass ich nicht mit Menschen sprechen kann. Sonst würde ich Carolin einfach sagen, was das Besondere an ihr ist, und sie müsste nicht länger darüber nachdenken. Es liegt doch auf der Hand: Sie ist ein lieber Mensch. Sie macht sich Gedanken um die anderen Menschen in ihrer Umgebung, um Nina und Daniel, sogar um Marc. Und um Tiere macht sie sich auch Gedanken, sonst hätte sie mich nicht aus dem Heim geholt. Also, ich finde, das reicht. Mehr muss sie doch nicht über sich wissen, um sich gut zu fühlen. Jetzt braucht sie dann nur noch den richtigen Mann, und alles ist gut. Wenn sie da allerdings so weitermacht, sind wir bald alle Kandidaten los und können von vorne anfangen. Diesmal denke ich mir dann aber eine andere Masche aus.«
Herr Beck seufzt. »Ne, glaube mir, Herkules. Solange Carolin das Gefühl hat, sich selbst finden zu müssen, können wir die tollsten Typen anschleppen - es wird nichts nützen. Offenbar können manche Menschen nur gut zu zweit sein, wenn sie auch gut allein sein können. Und dafür braucht Carolin wahrscheinlich wirklich Zeit. Fassen wir uns also in Geduld.«
»Ich hoffe, du hast zur Abwechslung mal Unrecht. Aber eine Chance gibt es noch: Jens. Zumindest war unser Ausflug an den Fluss einfach wunderschön, vielleicht wird es doch etwas mit den beiden.«
»Ja, vielleicht.« Herr Beck nickt bedächtig - aber sein Blick verrät, dass er nicht daran glaubt.
ZWEIUNDZWANZIG
»Kannst du mir mal einen vernünftigen Grund nennen, warum du mir das nicht erzählt hast?« Daniel klingt sauer. »Ich verstehe dich nicht, Carolin. Wir haben hier neulich gesessen, und ich war ganz ehrlich zu dir. Da hätte ich wohl von dir das Gleiche erwarten
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