DACKELKRIEG - Rouladen und Rap
zugestoßen wäre, steuerte ich einen leeren Parkplatz in der Nähe der Landstraße an, riss die Tüte mit gierigen Fingern auf und fühlte mich einen Moment lang wie
Bonnie und Clyde
. Nur eben alleine, mit Pommes und fettverschmierten Fingern im Westerwald.
Tiere, die für ältere Menschen konzipiert wurden
Ich erwische mich immer wieder dabei plötzlich mit meinen siebenundzwanzig Jahren schon schrecklich alt zu sein. Und das, obwohl ich neulich noch ziemlich jung war und Mutter mich zum Frauenarzt begleiten wollte, weil sie eine leere Packung der „Pille-danach“ in meinem Mülleimer fand. Was von mir ziemlich unachtsam in zweierlei Hinsicht war: Erstens hätte ich verhüten müssen und zweitens hätte ich verdammt nochmal daran denken müssen, dass man eine leere Packung der „Pille-danach“ nicht einfach gedankenlos in den Papierkorb eines mitteleuropäischen Kinderzimmers wirft, wenn man eine liebende Mutter hat.
Aber auch im Alter macht man allerlei unüberlegten Blödsinn, wie versehentlich mit dem Rauchen aufzuhören, weil man wochenlang „irgendwas mit dem Bauch“ hatte. Danach fühlt sich jede doofe Zigarette nur noch wie ein ungewaschener Kneipenvorhang aus der Friedrichshainer Szenekneipe
die Hexe
an, der sich bedrohlich über Gesicht und Lunge legt und dort unaufhörlich Rauch-Kotze-Aroma verströmt. Ich wünsche mir allerdings eine heile Welt, in der eine so schöne und anmutige Tätigkeit wie Rauchen wieder gut schmeckt und richtig viel Spaß macht. Eine Welt für Genießer, in der Familien in geschlossenen Räumen beim Essen rauchen. Bis dahin versuche ich, das Alter meinen Willen nicht vollkommen brechen zu lassen, solange bei mir noch ein paar alte Restbestände an Idealen im inneren Lager stehen.
Mein Toleranzlevel für Stress liegt inzwischen deutlich im Minusbereich, was rein rechnerisch natürlich bedeuten würde, dass ich scheinbar auch keinen positiven Stress ertrage. Wenn ich erst einmal anfange Adrenalin auszuschütten, dann ist es auch schon längst zu spät. Es besteht mit jedem Mal die Gefahr, an den schlimmen Folgen meiner niedrigen Stresstoleranz zu sterben. Ich will unter Adrenalin manchmal unüberlegte Dinge tun, wie in einer Kurzschlussreaktion das Haus zu verlassen oder mich mit Freunden zu treffen. Und dabei kann doch wer weiß was passieren! Das wissen wir doch. Deshalb habe ich es aufgegeben Pornos und Horrorfilme anzuschauen. Ich gucke nur noch Feel-Good-Movies anstelle von Feel-Very-Good-Movies, da diese mein Erregungslevel sicher auf einer ungefährlichen Null balancieren. Das reicht mir aus, denn daran werde ich nicht sterben.
In der
Primark
Filiale bin ich mal wieder die Älteste. Irgendwann kommt der Zeitpunkt, ab dem man immer und überall nur noch die Älteste ist. In Berlin ist das etwa zehn Jahre später als in Restdeutschland, aber immer noch gefühlte zehn Jahre zu früh für jemanden wie mich, der ohnehin anfällig für den Charme von Gummizughosen und Beipackzetteln ist. Ich fühle mich also mausgrau und spüre, wie die fleischfarbenen Mieder und der Spitzbusen formende BH an meiner handgewaschenen Kaschmirunterhose mit Inkontinenzeinlage scheuern. Hoffentlich hält die Blase dieses Mal, schießt es mir durch den Kopf, während ich die aufreizenden Dinger in dieser bombastischen Konsumhölle betrachte.
Kaufen. Kaufen. Kaufen. Die Girls sind nicht wegen der Ware, sondern für den bloßen Akt des Konsums hier. Es geht in dieser Art Geschäft schon lange nicht mehr um Produkte, sondern um die reine Tätigkeit des Shoppings und die plumpe Befriedigung einer inneren Leere, die diese Kids als Produkt der Beauty-Diktatur aufgebürdet bekommen haben. In diesem Laden gibt es keinen einzigen Mann. Die Herrenabteilung ist vollgestopft mit emsigen Bienenfrauen, die summend für ihre Ehemänner und Söhne Socken und Kapuzenpullover in einer nicht mehr handelsüblichen Menge einkaufen. Ganz so, als wären es Einweg-Kleidungsstücke. Väter, die Kinderklamotten shoppen, gibt es ohnehin nirgendwo auf dieser Welt und am wenigsten gibt es sie bei
Primark
. Hier gibt es nichts, außer Aufregung und Kinderwagenschlachten um Skinny-Jeans und String-Tangas.
Man schnappt sich am Eingang des vierzehnstöckigen Bekleidungsgeschäftes eine achtzig Quadratmeter große Tragetasche, in die man Pollen und Honig wirft. Die gefüllte Tasche bringt man dann zur Königin, der Filialleiterin, die über eine vierzig Meter lange Kassenschlange mit dreihundert Kassiererinnen herrscht, die
Weitere Kostenlose Bücher