DACKELKRIEG - Rouladen und Rap
besonderen Spleen?
Eines Tages kam Vater aufgeregt ins Wohnzimmer gerannt und erzählte uns mit weit aufgerissenen Augen, er hätte im Garten beim Abpissen einen verrückten Hund getroffen. Dieser Hund wäre klein, schwarz und hätte ihn auf aggressivste Art und Weise attackiert. Mein Bruder und ich zögerten nicht lange die Familie zu verteidigen. Notfalls mit Waffengewalt. Da Vater aber den Schlüssel für den Waffenschrank am Vortag aus Versehen verschluckt hatte, und mir das Gummi meiner Sportzwille gerissen war, als ich versucht hatte Mini-Salamis in den Mund der vegetarischen Nachbarin zu schießen, griffen wir unsere Feldhockeyschläger aus massivem Holz, die bereits reichlich durch die Köpfe und Schienbeine der Nachbarskinder abgenutzt waren, und marschierten wie eine aufgestachelte Bürgerwehr in den nächtlichen Garten, um den Eindringling aufzuspüren. Dieser Garten gehörte nur uns, das stand außer Frage. Eine Mauer musste her. Eine Mauer aus körperlicher Gewalt.
Der Garten lag ganz ruhig da. Wir stampften durch das nasse Gras. Vorbei an den unzähligen Sträuchern und vergreisten Obstbäumen aus deren matschigem Fallobst Oma gerne modrig stinkende Marmelade einkochte, in Richtung der großen Tannenbäume. Das Licht wurde hier deutlich schwächer und ich erkannte den Umriss meines großen Bruders nur noch flüchtig. Der starke Bewuchs der Baumgiganten verdunkelte den Himmel, wie man es von Bombenangriffe aus dem Zweiten Weltkrieg kannte, wenn eine ganze Armada Kampfbomber die Wolken über der Stadt durchbrach und sich der Himmel dunkel einfärbte. Dann plötzlich – Fliegeralarm! Hinter einem Busch sprang ein kreischendes Wesen auf uns zu. Wir knüppelten im Dunkel einfach drauf, erwischten es aber scheinbar nicht, denn wir hörten es weder vor Schmerz aufheulen, noch das befriedigende Geräusch eines brechenden Schädels. Das Bersten der Knochen blieb aus. Scheiße! Das unheimliche Monster bellte uns aus einiger Entfernung schrill an. Ich rannte ängstlich wieder ins Haus.
Unter Geschwistern scheint es keine "Kein Mann wird zurückgelassen!" Maxime zu geben. Ich habe meinen Bruder immer alleine an der Front zurückgelassen, wenn es hart auf hart kam, dafür gibt es unzählige vernarbte Belege in seiner armen Seele. So auch an dem Tag, an dem wir zum großen Abfischfest an den Dreifelder Weiher fuhren, wo wir auf dem entleerten See mit unseren bunten Gummistiefeln im Matsch herum liefen. Mein Bruder, der sich weiter in die Pampe traute, blieb zu unserem Schrecken in dem schleimigen Boden stecken und sank durch seine panischen Bewegungen immer tiefer in den modrigen Boden ein, der inzwischen eher wie Treibsand als wie Schlick mit Fischkadavern wirkte. Ich war zum Glück geistesgegenwärtig genug und rannte schnurstracks alleine zum Ufer zurück, wünschte ihm aber noch alles Gute und die Sache war für mich erledigt. Er starb wider Erwarten an diesem Tag nicht und hat den geschwisterlichen Verrat bestimmt niemals vergessen. Sein Tod wäre also vermutlich für uns beide besser gewesen. Er wird unmöglich jemals wieder jemandem vertraut haben können.
Im Hellen stellte sich in den Folgetagen heraus, dass der gefährliche Hund bloß ein kleiner Rehpinscher war. Aber natürlich trotzdem brandheiß und bissig, redeten wir uns ein. Ein dominanter Rüde mit einer Widerristhöhe von zwanzig Zentimetern. Aber ich hatte bisher noch jeden Mann mit Wurst verführt, und so packte ich mir die Innentaschen meiner Strickjacke voll mit feiner Cervelatwurst, denn Cervelatwurst war der Sprengstoffgürtel meiner Verführungskünste. Mein Plan ging voll auf. Der Hund liebte mich schon nach einigen Tagen der Wurstanfütterung heiß und innig und ließ sich von mir rumkriegen wie eine vierbeinige Nutte. Wurst war nichts weiter als angewandte
NLP
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Später wurden der verrückte Hund und ich die besten Freunde. Nach seinem Wegzug aus der Nachbarschaft schrieb ich ICH WILL AUCH EINEN HUND HABEN, SONST STERBE ICH mit Filzstift an die Wand meines Kinderzimmers und meinte es auch so. Ich komponierte auf dem Minikeyboard einen traurigen, aber gleichsam poppigen Abschiedssong, den ich tagelang vor dem Fenster kauernd unter Tränen performte. Der Regen schien während dieser Zeit nicht enden zu wollen. Das Lied bestand aus drei Noten und zwei sich ständig wiederholenden herzergreifenden Strophen. Meine Band bestand hingegen nur aus einer Person. Ich war Sänger und Keyboarder und meine Show bestand aus Schmerz. „Giz-mo,
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