DACKELKRIEG - Rouladen und Rap
immerzu Preise mit ihren Facettenaugen scannen und dabei freundlich nicken. Die von den einfachen Arbeiterinnen an der Kasse erwirtschafteten Summen werden auf direktem Wege an die Königin weitergeleitet, die dann entscheidet, ob die Mitarbeiterinnen fleißig genug für ihren Staat waren, oder ob man ihre kleinen Leiber am nächsten Morgen irgendwo leblos im Honig findet.
Die Textilien dieses Bekleidungsgiganten scheinen irgendwie magisch zu sein und dürfen in keinem Zauberkasten eines Gymnasiasten mit Geltungsbedürfnis fehlen. In der Waschmaschine verwandeln sie sich auf wundersame Art und Weise in einen zauberhaften Schmetterling ohne Flügel und ohne Kopf. Man kann sich diese Metamorphose ähnlich vorstellen wie die kleinen Muscheln, die man von langweiligen Freunden immer zum Geburtstag geschenkt bekommen hat: Zaubermuscheln, die man einfach in ein Glas Wasser legen konnte und schon wuchs ein komisch schleimiger Fetzen aus der Muschel, der laut Hersteller eigentlich eine hübsche Blume sein sollte, aber in der Praxis nach faulen Eiern roch und im Rachenraum scharf brannte. Laut mir war aber der „magische“ Inhalt der Zaubermuschel bloß widerlicher Algenglibber und verschwendete Vorfreude, auf ein bedeutungsloses Event, das im Alltag von Menschen mit ADHS aber auch rein gar nichts verloren hat.
Ähnliches passiert mit den Textilien des Kleidungsgiganten in der Waschmaschine, auch wenn die Bienenkönigin das natürlich niemals zugeben würde, weil sie Angst um ihren gesammelten Honig hat. Dabei liegt das wertvolle Propolis längst auf ihrem Privatkonto. Die Arbeiterinnen sehen davon natürlich nichts und fliegen abends nach getaner Arbeit mit gesenkten Köpfen in ihre kleinen Waben zurück, wo sie früh sterben.
Allerdings ist die Verwandlung im Falle der Zaubertextilien im Unterschied zur Zaubermuschel wirklich aufregend und riecht nicht nach Ei, sondern nach echter Magie. Klamotten einfach in die Trommel legen und die Maschine starten. Abwarten. Maschine ausstellen. Wenn man die Maschine dann wieder öffnet, ist die Verwandlung der Textilien bereits geschehen: Alle anderen Kleidungsstücke sind verfärbt, das Ausgangstextil ist hingegen farblos, zwei Größen kleiner und ohne Knöpfe und Bändel. Einfach nur magisch.
Gehetzt laufen die jungen Mädchen durch den pompösen Laden. Diese modellierbaren Puppen, denke ich mir. Sie haben gefärbte Haare und alle die gleichen lange Beine, die man auch aus den Werbespots kennt. Wie aus einem Katalog für Astronautennahrung schauen diese surrealen Wesen aus. Die Mädchen in diesem Alter sind nicht pummelig, wie wir es in ihrem Alter waren, denn diese Generation ist mit
Germanys Next Topmodel
statt mit
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aufgewachsen und weiß, dass jedes überflüssige Gramm die Absätze der billig produzierten Plastikstiefel brechen lassen könnte, wie ein Mittelfinger im Hals ihre spärliche Vernunft. Sie tragen zentimeterdicken roten Eyeliner und Mascara den ich nie benutze, weil ich nicht genau weiß, wie man ihn richtig schreibt und was man damit überhaupt anfangen soll. Generell schminke ich mich nicht mehr. Jetzt ohne Akne ist das genau mein Ding geworden. Schlägervisage. Fiese Fresse. Der Narbenmensch schlägt zurück.
Mit Dreizehn muss ich ziemlich schwer Akne gehabt haben, zumindest entnehme ich das den kindlichen Aufzeichnungen in meinem Tagebuch, das eigentlich "Nächtebuch" hätte heißen müssen, denn nach der Schule schlief ich nur noch, weil ich mich in meiner Haut einfach nicht mehr so wohl fühlte. Mir wurde klar, dass da wohl ziemlich was im Argen liegen musste, als Mutter eines Tages ein "ernsthaftes Gespräch" mit mir führen wollte, vor denen sich Kinder vollkommen zurecht fürchten. In "ernsten Gesprächen" geht es immer um Tod, Sex, Scheidung oder eben Akne. Bei mir war es Akne.
„Die Akne kommt von deinem Vater!“ „Kann er sie dann nicht wieder weg machen?“ „Ich meine, er hatte auch Akne.“ „Ach, ist er deswegen heute so?“ „Er hatte auf jeden Fall auch Probleme damit.“ „Toll, und jetzt hat er mich auch angesteckt, um sein Leid unsterblich zu machen? Die Rache der Akneopfer. Die Spirale der Eitergewalt muss sich weiter drehen, ja?“ „Akne ist nicht ansteckend.“ „Blödsinn. Ich hab ja welche!“ „Ja.“
Es folgten unzählige Arzttermine. Aber weder der rumänische Wunderheiler, noch die tranreichen Pasten des Inuit-Doktors, noch der Laserspezialist der
NASA
konnten mir helfen.
Doch dann zeichnete sich ein
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