DACKELKRIEG - Rouladen und Rap
Badeanzug nach dem Schwimmen angelassen, und krank bin ich davon auch nie geworden. Außerdem hat mir ein zweites Paar der von dir so beschworenen Wechselsocken immer einen Scheiß gebracht, weil in der Regel die Schuhe auch feucht waren, wenn die Socken nass waren. Ich habe heimlich Messer abgeleckt wenn du abgelenkt warst und nicht geschaut hast, und meine Zunge ist immer noch dran. In den letzten siebenundzwanzig Jahren ist noch nie ein Einkaufswagen umgekippt, weil ich mich mit meinem Körpergewicht darauf gehangen habe und ich mache es auch heute noch - bei jedem einzelnen Einkauf.
Bei
Primark
bestehen die meisten Textilien nicht aus Synthetik, sondern aus reiner Baumwolle, die nur den Anschein erwecken soll, synthetisch zu sein, weil der Kunde sich dann nicht fragt, wer sie wo und vor allem für welchen Stundensatz gepflückt hat. Das scheint die Mädchen hier irgendwie richtig zu turnen. Alles billig und modisch. Man verlässt mit gigantischen Einkaufstüten den Laden und hat trotzdem nur zweihundert Euro ausgegeben. Dabei vergisst man oft, dass es eben ausnahmsweise nicht um das "nur" geht, sondern darum, dass man dieses "nur" soeben trotzdem ausgegeben hat.
Die biestigen Mädchen stoßen und drängeln sich vor den Spiegeln, denn es gibt in dieser achtzigstöckigen Filiale nur drei Spiegel für viertausend Kundinnen und zwei davon stehen in der Babyabteilung, weil Babys sich immer so gerne im Spiegel angucken, wenn sie Dessous anprobieren. Der dritte Spiegel steht hinter eine Stange, an der ein großer Wust reduzierter Klamotten hängt unter die man sich erst bis zu den Füßen bücken muss wie bei der Musterung für den Wehrdienst, um sich im Spiegel darunter betrachten zu können. Schön und gut, denke ich mir, und quetsche mich mit meinem verwelkten Körper und dem müden Gesicht zwischen die aufgeregt herumwuselnden Teenies, die alle nach Vanille-Deo und Kirschlippenstift riechen, als wäre es 1994 und sie würden später noch zur Kirmes wollen, um Zuckerwatte zu naschen. Allerdings ist es 2012, denn sonst würden hier schließlich alle dämliche
Micky Mouse
Pullover und bunte Karottenhosen tragen. Oh Moment - ist es doch! Bei
Primark
ist es immer 1994. Aber genau will ich mich nicht festlegen, denn ich besitze ja keine Uhr. Scheinbar tragen jetzt alle ihre beschönigte Kindheit gut sichtbar als Retrokleidung und ich fühle mich um weitere zehn Jahre gealtert. Auf jeden Fall zu alt, um bei
Primark
noch dazuzugehören, aber zu jung um vernünftiges Gebären verantwortungsvoll zu praktizieren oder Sterbehilfe von Steuergeldern in Anspruch nehmen zu dürfen. Ein vollkommen überflüssiges Alter dieses Siebenundzwanzig, dessen Abschaffung man mal ernsthaft bei
Anne Will
diskutieren sollte!
In der Schuhabteilung ist der Teufel los. Überall sitzen diese Mädchen mit ihren jungen Körpern auf dem kalten Boden und streifen sich nuttige Kunstlederstiefel über ihre schmalen Beine, an denen perfekt lackierte Fußnägel in allen erdenklichen Farben des Regenbogens schimmern. Winzig kleine Nägel an minikleinen Zehen an klitzekleinen Mädchenkörpern. Alle haben sie sich die Beine makellos rasiert - wie im Wahn immer auf Abruf geil und jederzeit verfügbar zu sein. Kunstfell, viel Wolle, Strickwesten und kurze Jeansröcke? Die jungen Dinger wissen wirklich wie man sich einen Pilz einhandelt, denke ich und stürze auf der Rolltreppe.
Ich kenne nur eine einzige alte Person: Meine Großmutter. Für Menschen wie sie, die sich einsam fühlen, gibt es eine kleine Auswahl an Tieren, die speziell für den Einsatz bei älteren Menschen entwickelt wurden: Dackel, Pudel und Wellensittiche.
Wellensittiche sind das Unisex unter den Tiersorten und passen einfach zu jedem Ausgangscharakter, denn sie sind anspruchslos in ihren Bedürfnissen. Der Umgang und die Pflege der kleinen Federbällchen ist für Spieler aller Altersklassen zwischen Vier und Neunundneunzig kein Problem. Einfach die Flugfedern mit der Nagelschere auf knackige zwei Millimeter kürzen, den Käfig in eine dunkle Ecke auf den Boden stellen und mit einem kleinen Hasenzaun für ausreichend Freilauf sorgen. Alle zwei Wochen frisches Wasser in den Käfig sprühen und darauf achten, immer genügend Rührei in den Futterspendern anzubieten. Mit dieser Basisfürsorge geht es dem Tier schon den Umständen entsprechend, so anspruchslos ist es. Aber anspruchslos muss ja nichts Schlimmes sein.
Meine Großmutter hatte einen Wellensittich mit dem "lustigen" Namen Coco.
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