DACKELKRIEG - Rouladen und Rap
Dieses imposante blaue Fettmonster mit flaumigem Fell konnte allerhand Unsinniges sprechen, weil Omi viel mit ihm quatschte und es in liebevoller Rührei-Fürsorge auf eine stattliche Größe von 1,85 Meter heranwuchs. Wir kauften ihm regelmäßig sogenannte "Sprechperlen". Diese Nahrungsergänzungsmittel für Ziervögel hatten unerwartete Nebenwirkungen: Der Vogel war sexuell recht aktiv und schlief bisweilen mehrmals täglich mit einem kleinen bunten Gitterball, in dessen Mitte sich ein kleines Glöckchen befand, das uns jeden Fick des Wellensittichs lautstark ankündigte. Nun ist es aber bei den meisten Menschen so - denn wir sind alle relativ einfach gestrickt - dass niemand möchte, dass die eigene Eltern Sex haben. Man möchte aber beim besten Willen auch nicht, dass das eigene Haustier ein Sexualleben führt. Und sowieso wäre es besonders wünschenswert, wenn die beiden Parteien ihre Sexualität getrennt voneinander ausüben würden. Mir war der Vogel also wegen seiner ständigen Geilheit höchst suspekt und ich stand ihm eher argwöhnisch gegenüber. „Ich lasse dich nicht aus den Augen, kleiner Freund!“, raunte ich ihm beim Vorbeigehen zu, während er auf dem Bücherregal was von „Lieber, lieber Kerl!“ und „Guck doch mal!“ faselte und eine Pampe aus verdauten Körnern und Rührei auf meinen
Diercke
Weltatlas ausschied.
Wir bemerkten es dann erst einige Monate später: Großmutter schien seit sie den kleinen Piepmatz besaß wie ausgewechselt zu sein . Doch "ausgewechselt" meint nicht immer ein positives "ausgewechselt". Das "ausgewechselt" von Großmutter war ganz anders - Demenz. Sie begann plötzlich allerhand Dinge zu vergessen. Erst waren es nur Kleinigkeiten beim Einkaufen, dann vergaß sie größere Dinge beim Einkaufen, dann vergaß sie einzukaufen und schließlich vergaß sie sogar Hunger zu haben und aufzustehen. Ein schrecklicher Verdacht keimte in mir auf - hatte der kleine Wellensittich Coco die Großmutter etwa dement gemacht?
„Hallo!“ „Hallo!“ „Hallöchen, du Schöner!“ „Hallöchen!“ „Hallo!“ „Hallo, Hallo, Hallo!“ „Feiner Kerl!“ „Piep. Kerl. Kerl. Hallo. Hallöchen!“ „Na, wie geht es denn heute?“ „Na, Na, Na, Na!“
Ich lasse mir doch nichts vormachen! Eine alleinstehende sehr alte Frau und ein ständig Blödsinn kommunizierendes Haustier? Worüber sollten die sich schon groß unterhalten haben? Eine andauernde Aneinanderreihung ewig sinnloser Wiederholungen. Hallo-Tschüss-Süß-Gerede. Repetitiv und hochgradig unsinnig. Das hinterlässt doch mit Sicherheit Spuren in so einem Gehirn, die nie wieder rückgängig zu machen sind. Man vergisst dann wie man heißt, wie die eigenen Kinder und deren Kinder heißen, welcher Tag und welches Jahr gerade ist, aber die Gespräche mit dem Wellensittich werden von Tag zu Tag immer mehr und immer intensiver, bis vom Gehirn nichts mehr übrig bleibt. Den Namen des Vogels kennt man dann aber immer noch. Dafür ist immer Platz. Man hat ihn ja oft genug wiederholt. Ich finde das alles höchst verdächtig. Coco?
Nun hatte der Vogel aber zehn Jahre lang genügend Schaden bei der dementen alten Dame angerichtet und durfte sich endlich gönnen in Ruhe auf sein "Werk" zurückzublicken und zufrieden an Altersschwäche zu sterben. In den letzten Momenten seines Lebens sagte er im Sterbebett noch ein Mal frech „Hallöchen!“ und war dann tot. Verrückter kleiner Kerl.
Dieses Kapitel buffert noch
Es war stockdunkel, als ich das erste Mal meinen
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vom Bett aus aktualisierte und befürchtete, dass meine Freunde denken könnten, ich wäre immer noch wach und nicht bereits schon wieder. Dabei war ich extra am Vorabend übermotiviert vor Mitternacht ins Bett gegangen, weil ich eine süße Vorahnung darauf verspürte, wie es sein könnte, wenn man normal arbeitete und normalfrüh aufstand und am Ende vielleicht sogar normalviel verdient hätte und sich nicht wie der bärtige Künstler fühlte, der mit dreckverkrusteter Hose und Ü-Ei-Sammlung um acht Uhr morgens mit Langlauf-Ski am Kottbusser Tor Schnaps holen fährt und die Tauben mit Vornamen grüßt. Auch im Sommer. Und auch als Frau.
Mutter würde mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit nicht ewig für mich aufkommen können, das war uns allen schmerzlich bewusst und dem Staat wollte ich unter keinen Umständen auf der Tasche liegen, denn wenn ich jemandem nichts schuldig sein wollte, dann diesem verdammten Deutschland.
Mein Handy zeigte eine
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