Daddy Langbein
erklärte er, er sei schwach und müsse etwas Tee trinken. Er schlug vor, daß wir zum College- Gasthaus gehen — es ist an der Grenze des Campus am Föhrenweg. Ich sagte, wir sollten Julia und Sallie holen, aber er sagte, er sei dagegen, daß seine Nichten zuviel Tee trinken; es mache sie nervös. Also gingen wir einfach durch und hatten Tee und Krapfen und Marmelade und Gefrorenes und Kuchen an einem netten kleinen Tisch auf der Veranda. Das Gasthaus war angenehm leer, da der Monat am Ende war und die Taschengelder auf Ebbepunkt.
Wir waren so vergnügt! Aber er mußte zu seinem Zug laufen, sobald wir zurückkamen, und er sah Julia fast gar nicht. Sie war wütend auf mich, weil ich ihn entführt hatte; es scheint, er ist ein ungewöhnlich reicher und begehrenswerter Onkel. Ich war beruhigt zu hören, daß er reich ist; denn der Tee und das übrige kosteten pro Person 60 Cents.
Heute morgen (es ist inzwischen Montag) kamen drei Schachteln Pralines mit Eilpost für Julia und Sallie und mich. Was sagst Du dazu? Bonbons von einem Mann zu bekommen!
Bald habe ich das Gefühl, daß ich ein Mädchen bin und nicht ein Findling.
Ich wollte, Du kämst eines Tages zum Tee, damit ich sehe, ob ich Dich gern habe. Aber wäre es nicht schrecklich, wenn ich es nicht täte? Aber — ich bin sicher, ich hätte Dich gern.
Bien! Mein Kompliment.
„Jamais je ne t’oublierai.“
Judy.
P. S. Heute früh sah ich in den Spiegel und fand ein vollkommen neues Grübchen, das ich noch nie gesehen hatte. Komisch. Wo mag es wohl herkommen?
9. Juni.
Lieber Daddy-Langbein!
Glücklicher Tag!
Ich habe gerade das letzte Examen gemacht. Physiologie. Und jetzt:
Drei Monate auf einer Farm.
Ich habe keine Ahnung, was eine Farm ist. Ich war nie in meinem Leben auf einer. Ich habe nicht einmal eine angeschaut (außer vom Zug aus), aber ich weiß, daß ich sie lieben werde, und daß ich selig sein werde, frei zu sein.
Ich habe mich sogar immer noch nicht daran gewöhnt, vom John-Grier-Heim fort zu sein. Sooft ich es mir klarmache, laufen erregte kleine Schauer meinen Rücken hinauf und hinunter. Es ist ein Gefühl, als müsse ich schneller und schneller rennen und dauernd über meine Schulter sehen, um sicher zu sein, daß Mrs. Lippett nicht hinter mir her ist, mit ausgestrecktem Arm, um mich zu greifen und zurückzuholen.
Ich muß doch diesen Sommer niemandem gehorchen?
Deine nominelle Autorität stört mich nicht im geringsten ; Du bist zu weit weg, um zu stören. Für mich ist Mrs. Lippett auf immer tot, und die Semples brauchen doch mein moralisches Wohlergehen nicht
zu überwachen. Oder? Nein, sicher nicht. Ich bin ganz und gar erwachsen. Hurra!
Ich verlasse Dich jetzt, um einen Koffer zu packen und drei Kisten mit Teekesseln und Geschirr und Sofakissen und Büchern.
Immer Deine
Judy.
P. S. Hier ist der Text meiner Physiologieprüfung. Glaubst Du, Du wärst durchgekommen?
Lock Willow Farm,
Samstag nacht .
Liebster Daddy-Langbein!
Eben bin ich angekommen, und ich habe noch nicht ausgepackt, aber ich kann es nicht erwarten, Dir zu erzählen, wie schön ich eine Farm finde. Es ist ein himmlischer, himmlischer, himmlischer Ort! Das Haus ist rechteckig, so:
Und alt. Hundert Jahre oder so ähnlich. Es hat auf der einen Seite eine Veranda, die ich nicht zeichnen kann, und eine süße gedeckte Veranda vorn. Das Bild ist nicht ganz gelungen — die Dinge, die wie Staubpinsel aussehen, sind Ahornbäume, und die stacheligen auf beiden Seiten der Straße sind murmelnde Fichten und Schierlingstannen. Es steht auf der Spitze eines Hügels und schaut weit über Meilen grüner Wiesen auf eine andere Reihe von Hügeln.
So verläuft Connecticut in Wellen wie von einer Brennschere gebrannt, und Lock Willow Farm ist auf dem Kamm einer Welle. Die Scheunen waren früher auf der anderen Seite der Straße, wo sie die Aussicht versperrten, aber ein freundlicher Blitzstrahl kam vom Himmel und brannte sie ab.
Die Leute sind Mr. und Mrs. Semple und ein Dienstmädchen und zwei Knechte. Die Dienstleute essen in der Küche, und die Semples und Judy im Eßzimmer. Wir hatten Schinken und Eier und Biskuit und Honig und Geleekuchen und Torte und Senfgurken und Käse und Tee zum Abendessen — und eine große Menge Konversation. Ich war noch nie in meinem Leben so unterhaltsam. Alles, was ich sage, scheint komisch zu sein. Das kommt wohl daher, daß ich noch nie auf dem Land war, und meine Fragen stehen vor einem Hintergrund alles umfassender
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