Daddy Langbein
angefangen zu schreiben, aber ich kam über die Anrede „Lieber Daddy-Langbein“ nicht hinaus; denn es fiel mir ein, daß ich versprochen hatte, zum Abendessen Brombeeren zu pflücken, also zog ich los und ließ das Papier auf dem Tisch liegen, und als ich heute zurückkam, was glaubst Du, daß ich mitten auf der Seite sitzen sah? Einen wirklichen echten Schneider Daddy-Langbein:
Ich habe ihn sehr sanft an einem Bein aufgehoben und zum Fenster hinausfallen lassen. Ich würde für mein Leben keinem etwas tun. Sie erinnern mich immer an Dich.
Wir haben heute die Chaise angeschirrt und sind zum Ort in die Kirche gefahren. Es ist eine süße kleine weiße Holzkirche, mit einem Spitzturm und drei dorischen Säulen vor dem Eingang (aber vielleicht sind sie auch ionisch — ich verwechsle das immer).
Eine schöne, einschläfernde Predigt, und jedermann fächelte sich im Halbschlummer mit Palmblattfächern, und der einzige Laut außer dem Pfarrer war das Surren der Zikade in den Bäumen draußen. Ich wachte erst auf, als ich schon auf den Füßen stand und die Hymne mitsang, und dann tat es mir furchtbar leid, daß ich die Predigt nicht angehört hatte. Ich wüßte gern mehr über die Seelenvorgänge eines Mannes, der solch eine Hymne auswählen kann. Hier ist sie:
Verlaß dein Spielzeug, deine irdischen Spiele,
Verein dich mit mir im himmlischen Ziele,
Denn sonst, lieber Freund, heißt’s Abschied gar schnelle,
Ich verlaß dich, auf daß du versinkst in der Hölle.
Ich habe entdeckt, daß es nicht gut tut, Religionsfragen mit den Semples zu erörtern. Ihr Gott (den sie unversehrt von ihren fernen puritanischen Vorfahren ererbt haben) ist eine engstirnige, unvernünftige, ungerechte, kleinliche, gehässige, bigotte Person. Dank dem Himmel, daß ich von niemand einen bestimmten Gott geerbt habe! Ich habe die Freiheit, mir den meinigen auszudenken, wie ich ihn haben möchte. Er ist gütig und anteilnehmend und phantasiebegabt, verzeihend und verstehend — und Er hat Humor.
Ich habe die Semples außerordentlich gern. Ihr Tun ist viel besser als ihre Theorie. Sie sind besser als ihr eigener Gott. Das habe ich ihnen auch gesagt — und nun sind sie fürchterlich beunruhigt. Sie halten mich für eine Gotteslästerin — und ich halte sie dafür! Wir verzichten nun in unseren Unterhaltungen auf Theologie.
Es ist jetzt Sonntagnachmittag.
Amasai (der Knecht) mit einer purpurfarbenen Krawatte und einem Paar knallgelber Kalbslederhandschuhe, sehr rot und rasiert, ist gerade fortgefahren mit Carrie (der Magd) in einem großen mit roten Rosen verzierten Hut und einem blauen Musselinkleid und furchtbar dicht gedrehten Locken. Amasai verbrachte den ganzen Morgen beim Waschen des Einspänners; und Carrie blieb von der Kirche zu Hause, — offiziell, um das Essen zu kochen, aber in Wirklichkeit, um das Musselinkleid auszubügeln.
In zwei Minuten, sobald dieser Brief zu Ende ist, werde ich mich mit einem Buch niederlassen, das ich auf dem Speicher fand. Es heißt: „Auf richtiger Fährte“ und quer über die erste Seite steht mit einer komischen Kinderschrift:
Jervis Pendleton,
Wenn dieses Buch jemals davonläuft,
Gib ihm eine Ohrfeige und schicke es nach Hause.
Er war einmal nach einer Krankheit einen Sommer lang hier, als er ungefähr elf Jahre alt war; und er hinterließ „Auf richtiger Fährte“. Es sieht sehr zerlesen aus; die Spuren seiner schmutzigen kleinen
Hände sind häufig! In einer Ecke des Speichers sind auch ein Wasserrad und eine Windmühle und einige Pfeile und Bogen. Mrs. Semple spricht so unaufhörlich von ihm, daß ich wirklich glaube, er lebt — nicht ein erwachsener Mann mit einem Zylinderhut und Spazierstock, sondern ein netter, schmutziger, wirrhaariger Bub, der mit ungeheurem Lärm die Treppe hinaufklappert, der die Fliegentüren immer offen läßt und dauernd um Plätzchen bittet (und sie auch bekommt, wenn ich Mrs. Semple kenne!). Er scheint eine abenteuerliche kleine Seele gewesen zu sein — und mutig und wahrhaftig. Es tut mir leid, daß er ein Pendleton ist; er war für etwas Besseres bestimmt.
Morgen fangen wir an, den Hafer zu dreschen. Eine Dampfmaschine kommt und drei Taglöhner.
Es schmerzt mich zu melden, daß Butterblume (die einhörnige gefleckte Kuh, die Mutter von Lesbia) sich schändlich benommen hat. Am Freitag abend geriet sie in den Obstgarten und fraß die Äpfel unter den Bäumen und fraß und fraß, bis es ihr zu Kopf stieg. Zwei Tage lang war sie restlos
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