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Daddy Langbein

Daddy Langbein

Titel: Daddy Langbein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Webster
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Hunderten von Mädchen in blauen, weißen und rosa Kleidern betupft. Jedermann ist fröhlich und sorglos; denn die Ferien kommen, und mit dieser Aussicht wiegen die Prüfungen nicht schwer.
    Ist das nicht ein glücklicher Geisteszustand? Und, ach Daddy, ich bin die glücklichste von allen! Weil ich nicht mehr in der Anstalt bin. Und ich bin niemands Kindermädchen oder Tippfräulein oder Buchführer (und das wäre ich, wie Du weißt, ohne Dich geworden).
    Alle meine vergangenen Schlechtigkeiten tun mir leid.
    Es tut mir leid, daß ich je gegen Mrs. Lippett ungezogen war.
    Es tut mir leid, daß ich je Freddie Pèrkins geohrfeigt habe.
    Es tut mir leid, daß ich je die Zuckerdose mit Salz füllte.
    Es tut mir leid, daß ich je hinter dem Rücken der Aufsichtsräte Gesichter schnitt.
    Ich will gegenüber jedermann gut und lieb und gütig sein, weil ich so glücklich bin. Und diesen Sommer werde ich schreiben und schreiben und schreiben und anfangen, ein großer Autor zu sein. Ist das nicht ein erhabener Standpunkt? Oh, ich entwickle einen ausgezeichneten Charakter! Bei Kälte und Frost erlahmt er etwas, aber sobald die Sonne scheint, gedeiht er aufs beste.
    So gehts mit allen Leuten. Ich glaube nicht an die Theorie, daß Widrigkeiten und Leid und Enttäuschungen moralische Kraft entwickeln. Es sind gerade die glücklichen Menschen, die von Güte überströmen. Ich halte nichts von Misanthropen (feines Wort, habe es gerade gelernt). Du bist doch kein Misanthrop, Daddy?
    Ich hatte angefangen, vom Campus zu erzählen. Ich wollte, Du würdest uns kurz besuchen, und ich könnte Dich herumführen und sagen:
    „Das ist die Bibliothek. Das ist die Leuchtgasanlage, Daddy, Lieber. Das gotische Gebäude links ist die Turnhalle, und das halb im romanischen, halb im Tudor-Stil ist das neue Krankenhaus.“
    Oh, ich bin großartig im Herumführen. Ich tat es mein ganzes Leben lang in der Anstalt, und heute habe ich es hier den ganzen Tag getan. Wirklich und wahrhaftig.
    Und noch dazu einen Mann!
    Das ist ein großes Erlebnis. Ich habe noch nie mit einem Mann geredet (außer gelegentlich mit Aufsichtsräten, und die zählen ja nicht). Verzeih, Daddy. Ich will Deine Gefühle nicht verletzen, wenn ich die Aufsichtsräte schlechtmache. Nach meiner Meinung gehörst Du nicht wirklich zu ihnen.
    Du bist nur durch Zufall in den Ausschuß gestolpert. Der Aufsichtsrat als solcher ist dick, pompös und leutselig. Er patscht einem auf den Kopf und trägt eine goldene Uhrkette.

    Dies sieht aus wie ein Junikäfer, aber es soll jeden Aufsichtsrat außer Dir vorstellen.
    Jedoch, um zum Thema zu kommen:
    Ich bin mit einem Mann herumgegangen und habe mit ihm geredet und Tee getrunken. Und noch dazu mit einer besseren Sorte Mann — mit Mr. Jervis Pendleton, aus dem Haus derer von Julia; ihr Onkel, um es kurz zu machen (oder vielleicht sollte ich sagen: lang; denn er ist ebenso groß wie Du). Da er geschäftlich in der Stadt war, hatte er beschlossen herauszufahren und seine Nichte zu besuchen. Er ist der jüngste Bruder ihres Vaters, aber .sie kennt ihn nicht sehr gut. Offenbar hat er einen Blick auf sie geworfen, als sie ein Baby war, beschlossen, daß sie ihm nicht gefällt, und sie seitdem nie mehr beachtet.
    Jedenfalls, da war er und saß höchst anständig neben Hut, Stock und Handschuhen im Empfangszimmer; und Julia und Sallie hatten Seminar, das sie nicht schwänzen konnten. Also kam Julia zu mir gesaust und bat mich, ihn auf dem Campus herumzuführen und bei ihr abzuliefern, sobald sie frei wäre. Ich sagte aus Freundlichkeit und ohne jede Begeisterung: Ja; denn ich habe wenig für die Pendletons übrig.
    Aber es erwies sich, daß er ein süßes Lamm war. Er ist ein wirkliches menschliches Wesen — und gar kein Pendleton. Wir hatten es zusammen sehr schön. Ich sehne mich seitdem nach einem Onkel. Hast Du etwas dagegen, so zu tun als seist Du mein Onkel? Ich glaube, sie sind mehr wert als Großmütter.
    Mr. Pendleton erinnerte mich ein wenig an Dich, Daddy, wie Du vor zwanzig Jahren warst. Du siehst, ich kenne Dich genau, obwohl wir uns noch nie gesehen haben!
    Er ist groß und dünn, mit einem brünetten Gesicht voller Linien und dem lustigsten unsichtbaren Lächeln, das nie ganz durchdringt, sondern nur seine Mundwinkel aufkräuselt. Und er hat eine Art, daß man sofort das Gefühl hat, ihn schon lange zu kennen. Man hat sehr schnell Kontakt mit ihm.
    Wir spazierten über den ganzen Campus, vom inneren Viereck bis zum Sportfeld; dann

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