Daemmerung der Leidenschaft
Webb mit zugleich zornbebender und besorgter Stimme; auch seine Angst, die er nur mühsam unterdrückte, war deutlich daraus zu hören. Am liebsten hätte er Roanna in seine Arme genommen und nie mehr losgelassen; aber sein gesunder Menschenverstand sagte ihm, daß es besser wäre, sie nicht zu bewegen.
Sie blutete unaufhörlich. Der Fleck auf dem Teppich vergrößerte sich zusehends.
»Corliss!«, brüllte er. »Bring eine Decke und ein sauberes Handtuch!«
Einen Augenblick später war sie zur Stelle. Stolpernd, weil sie sich in der Decke verfangen und gleichzeitig versucht hatte, einen Morgenmantel über ihr reichlich knappes Nachthemdchen zu ziehen, reichte sie ihm das Gewünschte. Webb wickelte Roanna behutsam ein, faltete dann das Handtuch zusammen und schob es so vorsichtig wie möglich unter ihren Hinterkopf, so daß sie weicher lag und auch die Blutung ein wenig gestoppt wurde.
»K-kommt sie w-wieder in Ordnung?« fragte Corliss mit klappernden Zähnen.
»Das hoffe ich«, antwortete er grimmig. Eine Faust rammte sich in sein Herz. Und wenn nun doch etwas Schlimmes geschehen war? Was würde er dann tun?
Lucinda sackte um, weil ihre Beine sie nicht mehr tragen wollten. Sie vergrub das Gesicht in den Händen und schluchzte bitterlich.
Gloria hörte sofort auf zu heulen, wie eine Sirene, die abrupt abgestellt wird. Sie ging neben ihrer Schwester in die Knie und nahm sie in die Arme. »Natürlich wird alles gut, ganz bestimmt«, sagte sie wieder und wieder und strich Lucinda übers weiße Haar.
Roanna regte sich und stöhnte leise. Sie versuchte, die Hand an den Kopf zu heben. Da sie jedoch weder die Kraft noch die Kontrolle besaß, fiel ihr Arm leblos auf den Teppich zurück. Webbs Herz machte einen wilden Satz. Er ergriff ihre Hand und hielt sie ganz fest. »Roanna?«
Bei seinen Worten riß Lucinda sich von Gloria los und kroch hektisch näher. Auf ihrem Gesicht zeichneten sich sowohl Schrecken als auch Hoffnung ab.
Roanna holte zweimal tief Luft, dann flatterten ihre Lider auf. Ihr Blick war noch ganz verwirrt und benebelt, aber sie kam langsam wieder zu sich, und das war das Wichtigste.
Webb mußte einen Kloß hinunterschlucken. »Roanna«, flehte er und beugte sich über sie. Mühsam versuchte sie, sich auf ihn zu konzentrieren – sie blinzelte.
»Du siehst schwammig aus«, murmelte sie.
Vor lauter Herzklopfen bekam er kaum Luft. Er legte ihre Hand an seine stoppelige Wange. »Ja, ich weiß. Hab in letzter Zeit nicht viel Schlaf gekriegt.«
»Das – meine – ich – nicht«, lallte sie. Sie holte noch einmal tief Luft, als ob sie total erschöpft wäre. »... deine vier Augen ...«
Lucinda schluckte die Tränen herunter; mit einem erstickten Lachen ergriff sie Roannas andere Hand.
Roanna runzelte die Stirn. »Mein Kopf tut weh«, verkündete sie mühsam und machte die Augen wieder zu. Sie sprach jetzt deutlicher. Wieder versuchte sie, sich an den Kopf zu greifen, aber sowohl Webb als auch Lucinda hielten eine Hand fest, und keiner von beiden schien sie loslassen zu wollen.
»Das muß er wohl«, sagte Webb und zwang sich zur Ruhe. »Du hast eine höllische Beule abgekriegt.«
»Bin ich gestürzt?« murmelte sie.
»Höchstwahrscheinlich«, erwiderte er, weil er sie nicht unnötig beunruhigen wollte, bevor er etwas Genaues wußte.
Brock und Greg kamen keuchend die Treppe hochgestampft. Brock trug nur Jeans; den Reißverschluß hatte er zwar zugemacht, aber der Knopf stand noch offen. Seine breite Brust war schweißnaß. Er hatte sich von irgendwo einen Schürhaken geschnappt, und Greg hatte die Zeit genutzt, sich mit der Jagdflinte vom Wohnzimmerkamin zu bewaffnen. Webb blickte sie fragend an, und sie schüttelten die Köpfe. »Er ist weg«, formte Gregs Mund unhörbar.
In der Ferne ertönte Sirenengeheul. Greg sagte: »Ich bring die hier wohl besser wieder an ihren Platz, bevor der Sheriff kommt. Ich werde sie reinlassen.« Er marschierte los, um die Flinte wieder über den Kamin zu hängen, damit nicht etwa ein überängstlicher Deputy zu ballern anfing, bevor er etwas erklären konnte.
Roanna versuchte sich aufzusetzen. Webb drückte sie an der Schulter zurück. Es erschreckte ihn, wie leicht das ging. »O nein, das funktioniert nicht! Du wirst schön hier liegenbleiben, bis der Notarzt da ist und seine Anweisungen gibt.«
»Mein Kopf tut weh«, sagte sie fast aufsässig.
Es war so lange her, seit er zum letzten Mal diesen Ton bei ihr gehört hatte, daß er trotz seiner panischen
Weitere Kostenlose Bücher