Daemmerung der Leidenschaft
bei dieser Hitze eine Tortur für sein Pferd.
Aber er mußte mit ihr reden, mußte etwas sagen, irgendwas, das den endgültig verlorenen Ausdruck ihrer Augen wiederbelebte.
Roanna ritt nicht zum Haus zurück. Sie wollte sich nur verstecken und Webb nie wieder gegenübertreten. Sie fühlte sich innerlich ganz wund und zerrissen, und der Schmerz war so frisch und scharf, daß sie einfach niemandem begegnen wollte.
Selbstverständlich konnte sie ihm nicht ewig aus dem Weg gehen. So lange Lucinda noch lebte, war sie an Davenport gebunden. Morgen, ja morgen, würde sie irgendwie die Kraft aufbringen, ihn zu begrüßen und so zu tun, als ob nichts geschehen wäre, als ob sie sich ihm nicht erneut buchstäblich an den Hals geworfen hätte. Morgen wäre ihre Fassade wieder an ihrem Platz und ihr Panzer zurechtgerückt; vielleicht würden sich ein paar Risse bemerkbar machen, dort, wo sie ihn geflickt hatte – aber die Wände würden halten. Sie würde sich entschuldigen und es damit auf sich beruhen lassen. Durchhalten, weitermachen!
Den Rest des Nachmittags trieb sie sich herum, machte an einem schattigen Bächlein halt, um ihr Pferd trinken und auf der saftigen Uferwiese grasen zu lassen. Sie setzte sich in den Schatten und versuchte an gar nichts zu denken, ließ einfach die Zeit verrinnen wie nachts, wenn sie allein war und sich die Stunden endlos vor ihr erstreckten. Alles ließ sich ertragen, wenn man einen Augenblick nach dem anderen hinnahm und keine Gefühle aufkommen ließ.
Aber als die purpurroten Schatten der Dämmerung die Welt um sie herum verdunkelten, wußte sie, daß sie es nicht länger hinausschieben konnte und bestieg zögernd ihr Pferd. Dann lenkte sie es zurück nach Davenport. Loyal erwartete sie bereits mit besorgter Miene.
»Alles in Ordnung mit dir?« fragte er. Webb mußte bei seiner Rückkehr in einer mörderischen Stimmung gewesen sein, aber Loyal bohrte nicht weiter nach; das war ihre Angelegenheit. Sie würde es ihm schon sagen, wenn sie wollte. Aber er wollte wenigstens wissen, ob sie physisch in Ordnung war, und Roanna brachte ein tapferes Nicken zustande.
»Ich bin okay«, sagte sie mit fester, wenn auch ein wenig heiserer Stimme. Komisch: sie hatte nicht geweint, aber an ihrer Stimme merkte man die Anspannung.
»Du gehst am besten gleich ins Haus«, sagte er mit sorgenvoll gerunzelter Stirn. »Ich kümmere mich schon um das Pferd.«
Nun, das war dann gleich zweimal an einem Tag. Ihre Fassade mußte löchriger sein, als sie vermutet hatte. Sie war jedoch so müde und niedergeschlagen, daß sie sich lediglich bedankte, bevor sie mit schweren Schritten zum Haus ging.
Sie überlegte, ob sie sich über die Außentreppe hineinschleichen sollte, doch irgendwie kam ihr das zu mühsam vor. Ich habe mich schon viel zu oft in meinem Leben vor etwas gedrückt, dachte sie, statt mich den Dingen zu stellen. Also trat sie durch die Vordertür ein und nahm die Haupttreppe nach oben. Kaum, daß sie einige Stufen erklommen hatte, hörte sie das Geräusch von Stiefelschritten und Webbs Stimme aus der Diele: »Roanna, wir müssen miteinander reden!«
Es kostete sie alle Kraft, die sie noch besaß; doch sie schaffte es, sich umzudrehen und ihn anzublicken. Er sah sogar noch angespannter aus, als sie sich fühlte. Auf dem untersten Absatz stand er, gleichsam marschbereit, als ob er sie sich schnappen wollte, wenn sie nicht gehorchte. Sein Blick war wachsam, sein Mund zu einer dünnen Linie zusammengepreßt.
»Morgen«, sagte sie leise und wandte sich ab ... er ließ sie gehen. Mit jedem Schritt erwartete sie, seine Verfolgung zu hören – aber sie erreichte ungehindert das obere Stockwerk und dann ihr Zimmer.
Sie duschte ausgiebig, zog sich an und eilte zum Abendessen hinunter. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie sich am liebsten verkrochen, so wie sie vorher die Hintertreppe nehmen wollte; aber diese Zeiten waren endgültig vorbei. Kein Verstecken mehr, ermahnte sie sich. Ab sofort stellte sie sich den Dingen, egal was kommen mochte, sie würde damit fertigwerden, und dann war sie frei.
Webb beobachtete sie während des Dinners mit brütendem Gesichtsausdruck; doch danach versuchte er nicht, sie in ein Vieraugengespräch zu drängen. Sie war furchtbar müde, so erschöpft wie noch nie; doch nach allem, was heute passiert war, glaubte sie kaum, auch nur eine Sekunde Schlaf zu finden. Dennoch wollte sie sich hinlegen, mußte es unbedingt. Sie sagte Gute Nacht und zog sich still
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