Daemmerung der Leidenschaft
Die weichen Dämmerungsschatten lagen über dem Land, und pfirsichfarbene Lichterketten beleuchteten den Baum, unter dem Webb sie neben dem Pfarrer erwartete.
Einige wenige Reihen weißer Stühle standen beiderseits eines langen Teppichs, und jedes Gesicht war Roanna zugewandt, die soeben auf der Bildfläche erschien. Alle strahlten.
Greg und Lanette saßen in der ersten Reihe, Greg in einem Rollstuhl, aber seine Aussichten waren gut. Mit Physiotherapie würde er aller Voraussicht nach sein linkes Bein wieder benutzen können, wenn auch etwas eingeschränkt. Lanette hatte sich ihrem Gatten mit eiserner Hingabe gewidmet und nicht zugelassen, daß er wegen seines Kummers um Corliss aufgab. Gloria und Harlan saßen ebenfalls in der ersten Reihe und hielten sich bei den Händen. Beide sahen älter aus als vorher, doch auch sie lächelten.
Brock schob Lucindas Rollstuhl, und Roanna schritt würdevoll und anmutig neben ihnen her. Lucinda trug ihre Lieblingsfarbe, ein pfirsichfarbenes Kleid, sowie Perlen und Makeup. Sie lächelte entrückt, während sie den Gang entlang gefahren wurde. Ihre zerbrechliche, knotige Hand lag in den schlanken Fingern ihrer Enkelin, und beide bewegten sich zum Altar, so wie Roanna es sich gewünscht hatte.
Als sie den Baum erreichten, ergriff Webb Roannas Hand und zog sie an seine Seite. Brock schob lucinda so hin, daß Roanna die Mitte bildete; dann bezog er selbst Position als Webbs Trauzeuge.
Webbs Blick ruhte kurz auf der alten Dame und ihrer zerbrechlichen Erscheinung. Die Ärzte meinten, sie hätte nicht mehr lange zu leben, aber sie hatte sie erneut eines Besseren belehrt; vielleicht schaffte sie es doch noch durch diesen Winter. Nun behauptete sie, warten zu wollen, bis sie wußte, ob ihr Urenkel ein Junge oder ein Mädchen werden würde. Daraufhin hatte Roanna sofort erklärt, daß sie sich weder vom Arzt noch von der Ultraschalltechnik das Geschlecht des Kindes verraten ließe, bevor es auf die Welt kam. Lucinda hatte nur gelacht.
Längst hatte Webb ihr aufrichtig vergeben. Er durfte nicht mehr zornig oder nachtragend sein, da doch so viele Freuden vor ihm lagen.
Roanna blickte mit strahlendem Gesicht zu ihm auf, und beinahe hätte er sie auf der Stelle geküßt, noch bevor die Zeremonie überhaupt begonnen hatte. »Whoff«, flüsterte er so leise, daß nur sie ihn hören konnte, und sie unterdrückte ein Kichern über das, was zu ihrem Geheimwort für »ich will dich« geworden war.
Mittlerweile lächelte sie viel öfter. Er hatte aufgehört mitzuzählen, zumindest die jeweiligen Male. Sein Herz allerdings registrierte nach wie vor jede Bewegung ihres schönen Mundes.
Sie faßten sich bei den Händen, und er versank in ihren whiskeyfarbenen Augen. Dann vernahm er die Worte des Pfarrers im violetten Licht der Dämmerung: »Liebes Brautpaar, wir versammeln uns heute um euch ...«
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