Daemmerung der Leidenschaft
dem hilflosen, allen Stürmen ausgesetzten Kind: die Eltern, das Zuhause, den sicheren Hafen überhaupt. Jessie hatte ihr Selbstwertgefühl systematisch zerstört und Lucinda ihr unbewußt Hilfestellung geleistet. Dann hatte sie ihn als ihren Beschützer, als Schutzwall gehabt, bis auch er sich von ihr abwandte – danach ließ Roanna nie wieder jemanden an sich heran. Tatsächlich versank sie in eine Art Winterstarre. Und während ihr eigenes Leben stillstand, hatte sie sich uneingeschränkt Lucindas angenommen, doch dieses Kapitel ging nun auch seinem Ende zu.
Wenn Lucinda starb, würde Roanna Abschied nehmen.
Er blickte grimmig auf sie nieder. Alle wollten sich Davenport unter den Nagel reißen, und keinem stand es zu.
Einzig sie besaß einen legalen Anspruch darauf, und ausgerechnet sie wollte weg!
Da der Zorn ihn zu übermannen drohte, war es besser, in sein Zimmer zurückzugehen, bevor er noch wirklich die Beherrschung verlor. Und das könnte sie jetzt unter gar keinen Umständen verkraften. Er stürmte wütend zur Tür, doch dann drehte er sich noch einmal um. »Über die Einzelheiten reden wir später weiter«, schnauzte er. »Aber du wirst auf keinen Fall ausziehen.«
18
Heute fand seine Willkommensparty statt, und Webb, der sich auf dem Heimweg befand, fragte sich, wie groß die Katastrophe wohl ausfallen würde. Ihm war es egal, aber er wußte, daß es Lucinda sehr viel ausmachen würde, wenn die Dinge nicht nach Plan verliefen. Und nach dem, was er heute nachmittag erlebt hatte, sahen seine Chancen recht bedenklich aus.
Es war an sich nur eine Kleinigkeit gewesen, nicht einmal eine Auseinandersetzung, aber als Barometer für die Einstellung der Leute wohl recht vielsagend. Beim Lunch hatte er neben dem Vorsitzenden der Landwirtschaftskommission gesessen und die Kommentare der zwei Frauen am Tisch hinter ihm deutlich hören können.
»Auf jeden Fall besitzt er allerhand Unverfrorenheit«, hatte die eine gesagt. Sie äußerte ihre Meinung ziemlich ungeniert. »Wenn er glaubt, zehn Jahre sind genug, um zu vergessen, was er angestellt hat ... Nun, er wird schon sehen, wie sehr er sich da täuscht.«
»Lucinda Davenport war schon immer blind, wenn es um ihre Favoriten ging«, meinte die andere.
Webb hatte den Vorsitzenden angesehen, dessen Gesicht krebsrot geworden war, während er sich hingebungsvoll seinem Teller widmete und so tat, als habe er ausschließlich sein Steak in Sinn.
»Man könnte wirklich meinen, daß selbst die Davenports davor zurückscheuen würden, uns einen Mörder aufzudrängen«, fuhr die erste fort.
Webbs Augen verengten sich, doch er drehte sich nicht um und reagierte auch sonst nicht. Ob man ihn nun des Mordes verdächtigt hatte oder nicht, er war als Gentleman erzogen worden, und das hieß, eine Dame nicht vor der Öffentlichkeit in Verlegenheit zu bringen. Einem Mann hätte er wohl die Zähne gezeigt; aber die beiden Klatschbasen waren nicht nur weiblich, sondern darüber hinaus auch eher ältlich, wie er an ihren Stimmen erkannte. Sollten sie doch reden; er hatte eine dicke Haut.
Aber die Society-Matronen besaßen nicht wenig Einfluß, und wenn alle so dachten wie sie, dann würde Lucindas Party ein böser Reinfall werden. Ihm selbst war es egal; wenn die Leute nichts mit ihm zu tun haben wollten, dann würde er sich eben woanders umsehen. Aber Lucinda wäre nicht nur enttäuscht, sondern auch zutiefst verletzt, und würde sich die Schuld geben, weil sie ihn damals nicht beherzter verteidigt hatte. Um ihretwillen hoffte er ...
Die Windschutzscheibe zerbarst und überschüttete Webb mit Glassplittern. Etwas Heißes zischte an seinem Ohr vorbei, aber er hatte keine Zeit, sich weiter Gedanken darüber zu machen. Instinktiv duckte er sich, wobei er jedoch versehentlich das Lenkrad bewegte, was seinen Wagen nach rechts von der Fahrbahn und zur Hälfte auf den unebenen Seitenstreifen schleuderte. Grimmig versuchte er, den schlingernden Wagen wieder unter Kontrolle zu bekommen, bevor er noch mehr ins Rutschen geriet und im Straßengraben landete. Er konnte kaum etwas sehen durch die zerstörte Frontscheibe, deren zersplittertes Verbundglas wie ein milchiger Schleier vor seinen Augen hing. Ein Stein, dachte er, von dem vor ihm fahrenden Lastwagen. Da er jedoch auf einen genügenden Sicherheitsabstand geachtet hatte, überraschte es ihn, wie so etwas passieren konnte. Nun, vielleicht war es auch ein Vogel gewesen, obwohl er etwas so Großes hätte bemerken müssen.
Endlich
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