Daemmerung der Leidenschaft
brachte er alle vier Reifen sicher auf die Fahrbahn zurück, und der Wagen glitt wieder ruhiger dahin. Automatisch trat er auf die Bremse und blickte durch die noch relativ gut erhaltene rechte Ecke der Splitterwirtschaft vor ihm; er wollte sehen, wieviel Abstand er zum Seitenstreifen hatte und ob eventuell die Möglichkeit bestand, an den Straßenrand zu fahren. Es war nicht mehr weit bis zu der Abzweigung, die schließlich zum Davenport'schen Besitz führte. Wenn er diese Kreuzung erreichen könnte, dann hätte er den Verkehr hinter sich ...
Wieder krachte es vor ihm, diesmal mehr rechts. Ein paar größere Glasstücke fielen aus der Scheibe, die ansonsten jedoch noch von der Verbundglasschicht zusammengehalten wurde. Verflucht nochmal! dachte er zornig.
Jemand schoß auf ihn.
Rasch beugte er sich vor und schlug auf das zertrümmerte Glas ein, riß es so weit heraus, daß er auf die Straße sehen konnte, dann gab er Vollgas. Das Auto schoß derartig vorwärts, daß er in seinen Sitz zurückgedrückt wurde. Wenn er anhielt und dem Schützen ein unbewegliches Ziel bot, war es aus mit ihm – wohingegen es verdammt hart war, jemanden zu treffen, der mit hundertzwanzig Sachen dahinpreschte.
Wenn er an das heiße Zischen an seinem rechten Ohr beim ersten Schuß dachte und die Flugbahn der ersten Kugel abschätzte, dann mußte sich der Schütze wohl hinter der Erhebung kurz nach der abzweigenden Seitenstraße versteckt haben. Er hatte diese Stelle nun beinahe erreicht, und wenn er sie nahm, dann bot er dem Schützen seine Breitseite. Webb hielt den Fuß fest auf dem Gaspedal und raste an der Abzweigung vorbei und dann auch an dem dicht bewachsenen Feldweg, wo nach Beshears Ansicht neulich der Einbrecher seinen Wagen parkte ...
Webb kniff die Augen gegen den heftigen Fahrtwind zusammen, trat auf die Bremse und riß das Lenkrad herum, so daß er eine verfolgungsjagdreife Wende hinlegte, ein Manöver, das er sich bereits in seiner Jugend auf derselben geraden, langen Straße beigebracht hatte. Seine Reifen rauchten und hinterließen Gummi auf der Fahrbahn. Ein Auto raste laut hupend an ihm vorbei. Sein Wagen zitterte und bockte und blieb dann mit der Schnauze in der Richtung, aus der er gerade gekommen war, stehen. Auf dem vierspurigen Highway befand er sich nun auf der falschen Seite mitten im Gegenverkehr. Zwei Autos fuhren direkt auf ihn zu. Er trat aufs Gas.
Im letzten Moment erreichte er den Feldweg, gerade noch bevor er in die beiden Autos hineingerast wäre, und nahm die Kurve auf zwei Reifen. Dann kam er quietschend zum Halten und warf den Parkgang ein. Er sprang aus dem Wagen, bevor dieser richtig stillstand, und duckte sich mit einem Hechtsprung ins dichte Gebüsch am Wegrand. Sein Wagen versperrte nun die Auffahrt zur Straße, eine Sicherheitsmaßnahme, falls der Schütze seinen Wagen hinter diesem Weg abgestellt hatte. War es derselbe Mann, der ins Haus eingebrochen war, oder war es bloß ein Zufall? Jeder, der regelmäßig den Highway benutzte, immerhin Tausende täglich, konnte den Feldweg bemerkt haben. Er sah aus wie ein Jägersteig, der in den Wald führte; aber er verlief sich nach etwa einem Kilo meter, und ein Feld begann, das an den riesigen Privatgrund der Davenports angrenzte.
»Scheißzufall!« flüsterte er, während er sich leise durch die Bäume schlängelte, wobei er jede natürliche Deckung ausnutzte, um dem Schützen möglichst kein Ziel zu bieten.
Webb wußte nicht, was er tun würde, wenn er mit jemandem zusammenrumpelte, der eine Jagdflinte bei sich hatte – er mit nichts anderem bewaffnet als der Tageszeitung! Er war ziemlich normal aufgewachsen, hatte die hier übliche Kindheit auf dem Lande verbracht, trotz oder auch gerade wegen der Privilegien von Davenport. Lucinda und Yvonne hatten beide Wert darauf gelegt, daß er sich nicht groß von seinen Klassenkameraden unterschied, mit denen er ja sein Leben lang auskommen müßte und später auch geschäftlich zu tun haben würde. Er war auf Eichhörnchen- und Rotwildjagd gegangen und hatte früh gelernt, geräuschlos durch die dichten Wälder zu schleichen und sich an Geschöpfe heranzumachen, deren Augen und Ohren weit schärfer waren als seine eigenen. Die Viehdiebe, die seine Rinder gestohlen und nach Mexiko getrieben hatten, hatten sehr schnell kapiert, wie gut er im Spurensuchen war – und im Verstecken, wenn er nicht gesehen werden wollte. Sollte sich der Schütze hier irgendwo verbergen, dann würde er ihn finden, und der
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