Daemmerung der Leidenschaft
weit weg, als daß das leise Geräusch zu ihnen hätte dringen können, und im Moment war ihr außerdem viel zu schlecht, um sich darum zu kümmern. Im übrigen merkten die beiden ohnehin nicht, was um sie herum vorging. Sie waren viel zu sehr mit Ächzen und Stöhnen beschäftigt. Lieber Himmel, wie blöd das aussah ... und wie unmöglich. Gut, daß sie nicht noch näher dran war und daß der Busch sie zumindest teilweise verbarg ...
Sie hätte Jessie dafür umbringen können, daß sie Webb das antat.
Wenn Webb das erfuhr, würde er Jessie vielleicht selbst an den Kragen gehen, dachte Roanna, und ein kalter Schauder überlief sie. Obwohl er sich normalerweise in der Hand hatte, so wußte doch jeder, der Webb kannte, daß er ganz schön aufbrausen konnte, und vermied es wohlweislich, ihn zu reizen. Jessie aber war dumm, eingebildet und bösartig.
Aber vermutlich wiegte sie sich in Sicherheit, da Webb nicht vor heute abend aus Nashville zurückkehren würde. Bis dahin, dachte Roanna angeekelt, würde Jessie frisch geduscht und parfümiert sein, ihn mit einem hübschen Kleid und einem hübschen Lächeln erwarten und sich insgeheim über seine Ahnungslosigkeit lustig machen.
Webb verdiente das nicht, niemals! Aber sie konnte es ihm nicht sagen ... niemandem! Denn wenn sie es tat, dann würde sich Jessie aller Wahrscheinlichkeit nach mit Lügen herausreden und behaupten, daß Roanna bloß eifersüchtig war und Unruhe stiften wollte; jeder würde ihr glauben, da sie ja wirklich eifersüchtig war, was alle wußten. Und dann wären sowohl Webb als auch Großmutter zornig auf sie statt auf Jessie. Großmutter grollte ihr sowieso schon die meiste Zeit aus dem einen oder anderen Grund, aber sie könnte es nicht ertragen, wenn auch noch Webb auf sie böse wäre.
Andererseits glaubte Webb ihr am Ende doch. Dann könnte er Jessie möglicherweise wirklich umbringen und geriete in furchtbare Schwierigkeiten. Diese Vorstellung erdrückte sie fast – vielleicht fand er es ja auf andere Weise heraus, und dagegen war sie machtlos. Ihr blieb nichts anderes übrig, als den Mund zu halten und zu beten, daß er gegebenenfalls nichts tat, das ihn mit dem Gesetz in Konflikt brachte.
Roanna schlich sich aus ihrem Versteck hinter dem Felsblock und eilte rasch über den Hügel hinunter zu dem kleinen Tannenwäldchen zurück, wo Buckley gemütlich graste. Er blies sie sanft zur Begrüßung an und stubste sie mit den Nüstern. Gehorsam streichelte sie seinen großen Kopf und kraulte ihn hinter den Ohren, aber mit den Gedanken war sie ganz woanders. Sie stieg auf und entfernte sich leise von dem Ort, an dem Jessie Ehebruch begangen hatte. Mit hängenden Schultern ritt sie zurück zum Stall.
Sie verstand einfach nicht, was sie gesehen hatte. Wie konnte eine Frau, selbst Jessie, mit Webb nicht zufrieden sein? Roannas kindliche Heldenverehrung hatte sich in den letzten zehn Jahren, seit sie auf Davenport lebte, noch intensiviert. Mit siebzehn war sie sich nur zu schmerzlich bewußt, wie andere Frauen auf ihn reagierten; also wußte sie, daß sie mit ihrer Anbetung nicht allein dastand. Die Frauen starrten Webb mit unbewußter oder vielleicht gar nicht so unbewußter Sehnsucht an. Roanna vermied es, ihn so anzusehen, aber sie wußte, daß ihr das nicht immer gelang; denn Jessie sagte manchmal etwas in scharfem Ton darüber, daß sie Webb anhimmelte und sich wie eine Pest benahm. Aber sie konnte einfach nicht anders. Jedesmal, wenn sie ihn erblickte, machte ihr Herz einen großen Satz, bevor es anfing so heftig zu pochen, daß sie bisweilen gar keine Luft mehr bekam, und dann wurde ihr immer warm und kribbelig. Sauerstoffmangel, das mußte es sein. Liebe konnte ja nicht kribbeln.
Nichtsdestotrotz liebte sie ihn, liebte ihn mit einer Inbrunst, wie Jessie es nie können oder wollen würde.
Webb! Sein schwarzes Haar und die kühlen grünen Augen, das träge Grinsen, das sie ganz schwindlig machte vor Glück. Sein hochgewachsener, muskulöser Körper jagte ihr sowohl kalte als auch heiße Schauder über den Rücken, als ob sie Fieber hätte; diese ganz bestimmte Reaktion auf ihn plagte sie nun schon seit Jahren, und es wurde schlimmer, wenn sie ihm beim Schwimmen zusah und er nur eine enge Badehose anhatte. Ach, seine tiefe, lässige Stimme und die Art, wie er jeden grimmig ansah, bevor er sich nicht mit seiner morgendlichen Tasse Kaffee gestärkt hatte ... Er war erst vierundzwanzig, aber leitete Davenport uneingeschränkt, selbst Großmutter
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