Daemmerung der Leidenschaft
hörte auf ihn. Wenn er über irgend etwas ungehalten war, dann wurden seine grünen Augen ganz kalt, so kalt wie Gletscher, die Lässigkeit verschwand aus seiner Stimme, und seine Worte wurden mit einem Mal messerscharf.
Sie kannte seine verschiedenen Stimmungen, wußte, wie er aussah, wenn er müde war, wie er seine Hemden haben wollte. Roanna registrierte aufmerksam, welche Farben er am liebsten mochte, welche Sportmannschaften er favorisierte und was ihn zum Lachen brachte, was ihn ärgerte. Auch seine Lektüre verfolgte sie, seine politischen Interessen. Zehn Jahre lang hatte sie jedes kleinste Detail in sich aufgesaugt, hatte sich ihm zugewandt wie ein scheues Veilchen, das sich dem Licht entgegenreckt. Seit ihre Eltern tot waren, nahm Webb sowohl den Platz ihres Beschützers als auch ihres Vertrauten ein. Ihm hatte sie all ihre kindlichen Ängste gebeichtet, er hatte sie getröstet, wenn sie aus einem Alptraum erwachte oder wenn sie sich so schrecklich einsam und verloren fühlte.
Doch trotz all ihrer Liebe hätte sie nie eine Chance bei ihm gehabt, und das wußte sie. Es war immer Jessie gewesen. Allerdings tat es schrecklich weh, daß sie sich ihm mit Leib und Seele anbot und er dennoch Jessie geheiratet hatte. Jessie, die ihn manchmal sogar zu hassen schien. Jessie, die ihm untreu war!
Tränen brannten in Roannas Augen, und sie wischte sie unwillig fort. Weinen nutzte überhaupt nichts, doch sie konnte nicht anders, als Ohnmacht zu empfinden.
Von dem Tag an, als Jessie und sie auf Davenport einzogen, hatte Webb Jessie mit einem kühlen, besitzergreifenden Blick beobachtet. Jessie war auch mit anderen Jungs ausgegangen und er mit anderen Mädchen; aber er gestand ihr nur eine gewisse Länge an freier Leine zu und wenn sie das Ende erreicht hatte, zog er sie mit einem kräftigen Ruck wieder zurück. Von Anfang an besaß er die Oberhand in ihrer Beziehung. Webb war der einzige Mann, den Jessie nie hatte um den kleinen Finger wickeln oder mit ihren Wutanfällen einschüchtern können. Ein einziges Wort von ihm und sie parierte, etwas, das nicht einmal Großmutter fertigbrachte.
Roanna nährte die heimliche Hoffnung, daß Jessie ihn vielleicht doch nicht heiraten wollte; aber die Hoffnung war so schwach, daß sie kaum existiert hatte. Als Großmutter seinerzeit verkündete, daß Webb sowohl Davenport als auch ihren Geschäftsanteil am Unternehmen erben würde, was ganze fünfzig Prozent ausmachte, stand für alle Jessies Hochzeit mit Webb bombenfest – selbst wenn er der gemeinste, häßlichste Mann auf der Welt gewesen wäre, was ja keineswegs zutraf. Jessie hatte Janets fünfundzwanzig Prozent geerbt und Roanna die fünfundzwanzig Prozent ihres Vaters. Jessie hielt sich selbst für die Kronprinzessin von Davenport, mit der Aussicht, durch ihre Heirat einmal Königin zu werden. Niemals hätte sie einen darunterliegenden Status hingenommen, indem sie sich mit einem Fremden einließ.
Aber auch Jessie war durchaus fasziniert von Webb. Die Tatsache, daß sie ihn nicht beherrschen konnte so wie die anderen Jungen, ärgerte und provozierte sie, weshalb sie partout nicht aufhören konnte, um seine Flamme und nach seiner Pfeife zu tanzen. Sie war eitel genug, sich einzubilden, daß sie ihn, sobald sie einmal verheiratet waren, mit Sex würde beherrschen können, indem sie ihm ihre Gunst je nach Laune zuwandte oder entzog.
Wenn die Dinge so lagen, dann war sie jedenfalls ziemlich enttäuscht worden. Roanna wußte, daß es in ihrer Ehe kriselte, und hatte sich insgeheim darüber gefreut. Auf einmal jedoch schämte sie sich zutiefst, denn Webb verdiente es, glücklich zu sein, auch wenn es Jessie nicht zustand.
Aber welch diebische Genugtuung bereitete es ihr stets, wenn Jessie nicht ihren Willen bekam! Sie wußte immer Bescheid, denn auch wenn Webb seinen Zorn unter Kontrolle hielt, so machte sich Jessie nie diese Mühe. Wenn sie wütend war, dann tobte sie, schmollte und grollte. In den zwei Jahren ihrer Ehe hatten sie begonnen, sich immer häufiger zu streiten, wobei Jessie, sehr zu Großmutters Kummer, regelmäßig das ganze Haus zusammenbrüllte.
Nichts, was Jessie tat, konnte Webb jedoch von einer einmal gefällten Entscheidung abbringen. Sie stritten beinahe andauernd, und Webb mußte obendrein Davenport leiten und das Unternehmen nach bestem Vermögen in Gang halten, eine Aufgabe, die knochenhart war und ihn oft bis zu achtzehn Stunden am Tag beanspruchte. In Roannas Augen war Webb offensichtlich
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