Daemmerung der Leidenschaft
erwachsen und fähig, die Verantwortung zu tragen; dennoch war er erst vierundzwanzig und hatte ihr einmal anvertraut, daß er einigermaßen damit zu tun hatte, den älteren, etablierteren Geschäftsleitern zu beweisen, daß er seiner Aufgabe gewachsen war. Danach strebte er in erster Linie, und sie liebte ihn dafür.
Ein arbeitssüchtiger Ehemann war jedoch nicht das, was Jessie sich vom Leben wünschte. Sie wollte Europa bereisen, aber er hatte dauernd irgendwelche Geschäftstermine. Sie wollte zum Höhepunkt der Skisaison nach Aspen; er hielt das für reine Zeit- und Geldverschwendung, da sie weder Skifahren konnte noch Interesse daran hatte, es zu lernen. Ihr lag vor allem daran, zu sehen und gesehen zu werden. Als sie innerhalb von sechs Monaten vier Strafzettel wegen zu schnellen Fahrens bekam und deshalb ihren Führerschein verlor, wäre sie ungerührt weitergefahren, im Vertrauen auf den Einfluß der Davenports, der sie schon aus jeglichen Schwierigkeiten herausholen würde. Aber Webb konfiszierte einfach all ihre Wagenschlüssel und verbot den andern, ihr deren Autos zu leihen; und dann ließ er sie einen Monat lang zu Hause herumsitzen, bevor er einen Chauffeur für sie anheuerte. Am meisten in Rage hatte sie gebracht, daß sie selbst einen Chauffeur engagieren wollte: das hingegen hatte Webb vorausgesehen und entsprechende Vorkehrungen getroffen. Es gab nämlich in der Gegend nicht viele Firmen, die Limousinen vermieteten, und keine, die es sich mit ihm verscherzen wollte. Nur Großmutter war während dieses höllischen Monats Jessies messerscharfer Zunge entgangen, einem Monat, in dem sie wie ein rebellischer Teenager, der unter Hausarrest stand, rumhing.
Vielleicht ist mit anderen Männern zu schlafen ja Jessies Art, sich an Webb dafür zu rächen, daß er ihr nicht ihren Willen läßt, dachte Roanna. Bei ihrem selbstsüchtigen Wesen war ihr das durchaus zuzutrauen.
Bitter erkannte Roanna, daß sie Webb eine viel bessere Frau gewesen wäre als Jessie; aber keiner hatte das je in Betracht gezogen, am wenigsten Webb. Roanna besaß eine ungewöhnlich scharfe Beobachtungsgabe, einen Charakterzug, den sie entwickelt hatte, weil sie ihr Leben lang die zweite Geige spielen mußte. Sie liebte Webb, aber unterschätzte auch nicht seinen Ehrgeiz. Wenn Großmutter beispielsweise Roanna für ihre Nachfolge im Sinn gehabt hätte, so wie Jessie damals, dann wäre aller Wahrscheinlichkeit nach sie mit Webb verlobt worden. Zugegeben, Webb hätte sie nie so angesehen wie ihre Cousine, aber sie war ja bis dahin ein Kind gewesen. Mit Davenport in der Waagschale würde er wahrscheinlich sie gewählt haben, das wußte sie ganz genau. Es wäre ihr egal gewesen, bloß als Mittel zum Zweck zu dienen. Sie hätte Webb unter jeder Bedingung geheiratet und wäre dankbar für jegliches bißchen Zuneigung gewesen. Warum hatte es nicht sie sein können? Warum Jessie?
Weil Jessie bildschön und immer schon Großmutters Liebling gewesen war. Roanna hatte sich anfangs nach besten Kräften bemüht, es aber nie geschafft, auch nur annähernd so graziös und unterhaltsam zu sein wie Jessie, hatte nie deren guten Geschmack, was Kleidung und Einrichtung betraf, erreicht. Ganz sicher würde sie nie so hübsch werden. Roannas Spiegel war nicht mit Rosen überhaucht; sie sah ihr glattes, dichtes, unordentliches Haar, das mehr ins Bräunliche als Rote ging, nur allzu deutlich, und auch ihre leicht schrägstehenden braunen Augen, den Huckel auf ihrer langen Nase und ihren übergroßen Mund. Dazu kamen ihre Zaunlattenfigur sowie diese peinliche Ungeschicklichkeit. Mit wachsender Verzweiflung erkannte sie, daß keiner, ganz besonders kein Mann, sie Jessie vorziehen würde. Mit siebzehn war Jessie der Star der Schule gewesen, während Roanna im selben Alter keine einzige richtige Verabredung vorweisen konnte. Großmutter hatte bei diversen Anlässen, die zu besuchen Roanna gezwungen war, für eine männliche Begleitung gesorgt; aber die Jungen waren offensichtlich von ihren Müttern zu der Aufgabe verdonnert worden, und Roanna schämte sich jedesmal gräßlich und tappte stumm nebenher. Keiner der Zwangsverpflichteten hatte sich je um ein zweites Treffen mit ihr bemüht.
Aber seit Webbs Heirat gab sich Roanna immer weniger Mühe, sich in die passende Form pressen zu lassen, die die Großmutter für sie vorgesehen hatte, die Form der Davenports. Wozu auch? Webb war für sie verloren. Sie hatte angefangen, sich zurückzuziehen und so viel Zeit,
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