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Daemmerung ueber der See

Daemmerung ueber der See

Titel: Daemmerung ueber der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kent
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Backbord, nur für den Ausguck erkennbar, lag Afrika, Molembo, wo schon viele Sklavenschiffe von Fahrzeugen wie der
Larne
aufgebracht worden waren. Die meisten Länder hatten den Sklavenhandel verboten, der so viele Menschenleben gekostet hatte, doch solange der Preis stimmte, wurde weitergemacht.
    In der Kabine der Brigg versuchte sich Commander James Tyacke auf die Seekarte zu konzentrieren. Er verfluchte den launischen Wind, der ihm eine schnelle Überfahrt von Freetown verdarb. Er hatte Sir Richard Bolithos Befehle erhalten und freute sich auf ein Wiedersehen. Es überraschte Tyacke immer wieder, daß er so dachte, denn normalerweise hatte er sehr wenig Respekt vor hohen Vorgesetzten. Bolitho hatte das während des Feldzugs um das Kap der Guten Hoffnung abgestellt. Er hatte sogar die Unbequemlichkeiten des kleinen Schoners
Miranda
erduldet, den Tyacke damals kommandierte, und als der Schoner einer feindlichen Fregatte zum Opfer gefallen war, hatte er ihm die
Larne
verschafft. Die Abgeschiedenheit und Selbständigkeit der Antisklavereipatrouillen war genau nach dem Geschmack von Tyacke gewesen. Die meisten seiner Matrosen waren hervorragende Seeleute, die es genau wie er schätzten, von der drückenden Autorität einer großen Flotte frei zu sein. Die meisten Seeleute kümmerten sich wenig um den Sklavenhandel; es war etwas, was passierte oder was normal gewesen war, ehe die neuen Gesetze verabschiedet waren. Aber nicht unter dem Auge eines Admirals zu segeln und die Aussicht auf Prisengeld war nach dem Geschmack eines jeden Mannes.
    Tyacke lehnte sich zurück und lauschte auf die Geräusche seines kleinen Schiffes, das in den Rollern des Südatlantiks stöhnte. Er dachte noch oft an die Suche nach Bolitho und seiner Lady nach dem Verlust der
Golden Plover
am HundertMeilen-Riff. Seine Ungläubigkeit hatte sich in ein Dankgebet verwandelt – etwas, was bei ihm höchst selten vorkam –, als er festgestellt hatte, wer in dem der glühenden Sonne ausgesetzten Langboot überlebt hatte.
    Er mußte an das Kleid denken, das er in der Seekiste seiner Kabine aufbewahrt hatte. Er hatte es in Lissabon für das Mädchen gekauft, das ihm versprochen hatte, seine Frau zu werden. Er hatte es Lady Somervell gegeben, damit sie sich vor den gierigen Blicken der Seeleute schützen konnte. Später, nach der Hochzeit Keens, hatte sie es ihm gereinigt und in einem mit Stoff ausgeschlagenen Kasten zurückgegeben. Ein kleiner Brief war dabei gewesen. »Für Sie, James Tyacke, und das Mädchen, das es verdient.«
    Tyacke stand auf und griff nach einem Decksbalken, um ruhig stehen zu können. Die Kabine war sehr klein, wie auf einer Miniaturfregatte, doch nach dem Schoner war sie ihm wie ein Palast erschienen. Er blickte sich im Spiegel an. Ein Gesicht, das man bis zur Schlacht von Abukir als gutaussehend und ausdrucksstark hätte bezeichnen können. Die linke Gesichtshälfte war unversehrt, aber die andere Seite war verunstaltet. Daß sein Auge dort unbeschädigt geblieben war, erschien ihm wie ein Wunder: Es leuchtete aus dem verbrannten Fleisch wie eine ärgerliche Feuerkugel. Alle Männer an der Kanone waren gefallen – und Tyacke konnte sich an nichts erinnern.
    Für ein Mädchen, das es verdient.
    Tyacke wandte sich ab, die alte Bitterkeit durchströmte ihn. Welche Frau konnte noch mit ihm zusammenleben? Aufzuwachen und neben sich dieses schrecklich entstellte Gesicht zu sehen?
    Er lauschte auf die Geräusche der See, seiner letzten Zuflucht. Hier hatte er sich den Respekt seiner Männer verdient und den des Mannes, den er bald wiedersehen würde. Die meisten seiner Leute konnten ihn jetzt ansehen, ohne Abscheu oder Schrecken zu zeigen. Er hatte Glück gehabt, denn er hatte drei Leutnants und mehr erfahrene Matrosen als viele andere Fregatten. Die
Larne
hatte sogar einen guten Schiffsarzt, der großes Interesse an der Tropenmedizin hatte und sich täglich Notizen machte über die vielen Fieberkrankheiten, die an dieser Küste auftraten. Vielleicht würden sie ihn eines Tages auf die medizinische Hochschule in London bringen.
    Die Luft war kaum zu atmen, sie war wie heißer Wüstensand. Er blinzelte in das gleißende Licht und sah sich die Wachen an, die um ihn herumstanden: Männer, die er besser kennengelernt hatte, als er es je für möglich gehalten hatte. Ozanne, der Erste Leutnant von den Kanalinseln, der früher bei der Handelsmarine gefahren war. Er hatte sich auf dem harten Weg hochgearbeitet und war fünf Jahre älter als

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