DAEMON
Häuser zurückzufahren, die der Bank gehörten. Sie waren Herdenvieh. Für diese blinden Funktionierer hatte Gragg nichts als Verachtung übrig.
Er fuhr «uptown», Richtung West Loop – einer Ansammlung von Wolkenkratzern gleich westlich des Zentrums, die als eine Art zweite Skyline für Leute diente, denen die eigentliche zu weit weg war. Graggs Partner, Jason Heider, arbeitete in einem Kettenrestaurant im Galleria-Einkaufsparadies, unweit der Indoor-Schlittschuhbahn.
Heider war um die dreißig, sah aber älter aus. Damals, während des Tech-Booms, war er so eine Art Vizepräsident eines Dotcom-Unternehmens gewesen. Gragg hatte Heider in einem IR C-Chatroom getroffen, wo es um fortgeschrittene Cracking-Themen ging – Buffer-Overruns, Algorithmen für das Knacken von Passwörtern mit Buntforce-Methodik, Aufspüren von Software-Schwachstellen und Ähnliches. Heider wusste wirklich, wovon er sprach, und bald schon hatten sie sich zusammengetan, um sich auf Flugplätzen und in Cafés in fremdes WLAN einzuhacken und, wo irgend möglich, Firmen-Loginszu klauen. Sie beide verband ein glühendes Interesse für Technologie und Information – die Instrumente persönlicher Macht. In diesem einen Jahr hatte Gragg eine Menge von Heider gelernt. In letzter Zeit allerdings nichts mehr.
Außerdem war da Heiders Leichtsinn. Er hatte kürzlich seinen Führerschein wegen Fahrens unter Drogeneinfluss verloren, und sie wären dabei um ein Haar aufgeflogen, weil er seinen Laptop im Wagen gehabt hatte. Gragg behielt ihn jetzt genauer im Auge und ließ ihn samstagabends nicht gern allein, aus Angst, Heiders Unvorsichtigkeit würde sie beide in den Knast bringen. Zum Glück hatte er Heider nie seinen richtigen Namen genannt.
Gragg erreichte den Parkplatz des Einkaufszentrums und fuhr um die gesichtslosen Klötze herum. Er parkte beim Westeingang und wartete. Schließlich kam Heider auf den Parkplatz herausgetrottet, eine Zigarette im Mundwinkel. Es war ein kalter Herbstabend, und Heiders Atem qualmte mit wie ohne Rauch. Er trug eine M6 5-Feldjacke , die ihre besten Zeiten eindeutig hinter sich hatte. Der Typ bot wirklich einen erbärmlichen Anblick, und Gragg dachte, dass es ein Gnadenakt wäre, ihn zu überfahren. Heider war nur noch ein Schatten seiner selbst, und das wusste er auch. Er zog ein letztes Mal an seiner Zigarette, warf sie weg und stieg ein.
«Hey, Chico. Wo geht’s zur Party?»
Gragg musterte ihn. «Hast du was dabei?»
«Nein, Mann. Na ja, nur ein bisschen Speed.»
«Schmeiß das Zeug sofort raus, Jase, oder du kannst von mir aus zu Fuß nach Hause gehen. Ich habe heute Abend einen Gig, und ich kann’s nicht brauchen, dass irgendwelche Schnüffelhunde den Bullen einen hinreichenden Verdacht liefern.»
«Herrgott, kannst du dich mal locker machen?»
«Ich mache mich nicht locker. Ich behalte meine fünf Sinnebeisammen. Freunde lässt man keine Drogen nehmen – schon gar nicht, wenn diese Freunde zu Kronzeugen werden könnten.»
«Schon gut, Mann. Ich hab’s kapiert.» Heider schaltete die Innenraumbeleuchtung aus, öffnete dann die Wagentür und warf ein kleines Plastikbeutelchen auf den Asphalt.
Gragg fuhr los. «Dein Gehirn ist dein einzig brauchbares Werkzeug, Jase. Wenn du es immer weiter runterwirtschaftest, bist du für mich wertlos.»
«Ach, halt die Klappe. Wenn ich einen Schlaganfall hätte
und
Klebstoff schnüffeln würde, käme ich am Ende immer noch mit deinem IQ raus. Du verbringst doch den ganzen Tag damit, Hentai zu gucken und Onlinegames zu zocken, wie weit kann es da mit deiner Intelligenz schon her sein?»
Gragg drehte einen Oakenfold-Mix auf, um Heiders Stimme zu übertönen.
Er nahm den Katy Freeway nach Westen, dann, etwa zehn Meilen außerhalb von Houston, die Abfahrt auf den State Highway 6 North. Der Highway 6 war eine öde vierspurige Betonpiste durch sumpfiges Terrain und weite, von Baumwällen gesäumte Prärieflächen – Relikte einer agrarischen Vergangenheit. Das Einzige, was jetzt noch hier wuchs, waren Strip Malls, Trabantensiedlungen und Office Parks, die wie Traubenbüschel aus dem Rebstock des Highways sprossen. Dazwischen lag über weite Strecken überhaupt nichts Brauchbares.
Gragg starrte finster auf die Straße. Er hatte schon zehn Minuten kein Wort mehr gesagt.
«Was ist denn heute Abend mit dir los?», fragte Heider schließlich.
«Die verdammten Filipinos. Sie haben gepostet, dass ich sie treffen soll.»
«Wozu?»
«Um einen neuen
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