DAEMON
auf evolutionärem Weg ihre Waffensysteme gegen eine bestimmte Wirtspezies optimieren, entwickeln sich die Wirtsorganismen dahingehend, diesen Angriffen zu entgehen. Wissenschaftler nennen diese Theorie des ewigen genetischen Kampfes die
Rote-Königin-Hypothese
– was auf Lewis Carrolls
Alice hinter den Spiegeln
zurückgeht.»
Auf dem Bildschirm erschien plötzlich eine Animation,die zeigte, wie die Rote Königin durch ein Heckenlabyrinth rannte und sich nach der kleinen Alice umsah, die sich die Seele aus dem Leib keuchte, um Schritt zu halten. Dabei sagte die Königin: «Hierzulande musst du so schnell rennen, wie du kannst, wenn du am gleichen Fleck bleiben willst.»
Das Bild wechselte wieder. Jetzt war da ein kleiner Tümpel mit Schnecken, die durch den Schlamm krochen.
«Auch das Verhalten der potentiellen Wirtslebewesen veränderte sich im Kampf gegen die Parasiten. Tatsächlich verdanken wir den Parasiten die Sexualität. Geschlechtliche Fortpflanzung ist eine energie- und zeitaufwendige Methode der Reproduktion. Experimente haben gezeigt, dass in Abwesenheit von Parasiten evolutionäre Prozesse in Richtung Parthenogenese – oder Klonen – als Fortpflanzungsmethode der Wahl verlaufen. Bei der Parthenogenese kann sich jedes Individuum selbst replizieren. Doch das bringt so gut wie keine genetische Variation hervor. In Anwesenheit von Parasiten ist Klonen, obgleich energiesparender, keine evolutionär erfolgreiche Fortpflanzungsstrategie. Es liefert Parasiten ein genetisch konstantes Angriffsziel, mit der Folge, dass sie dieses System, wenn sie es einmal geknackt haben, rasch dominieren.»
Auf dem Bildschirm erschien jetzt ein animiertes Bild von zwei menschlichen Chromosomensätzen, während Sobol weitersprach.
«Geschlechtliche Reproduktion existiert einzig und allein als Mittel im Kampf gegen Parasiten. Durch die Vermischung männlicher und weiblicher Gene erzeugt sexuelle Fortpflanzung Nachkommen, die genetisch weder mit dem männlichen noch mit dem weiblichen Elternteil identisch sind – sodass sich jede Generation von der vorigen unterscheidet und Eindringlinge, die das System zu infiltrieren versuchen, es mit einem beweglichen Ziel zu tun haben.
Doch trotz dieser Variation stellen Parasiten immer noch eine Bedrohung dar …»
Der Bildschirm zeigte jetzt Farbfilmaufnahmen von Eingeborenen, die an grässlichen Formen von Parasitenbefall litten: Kinder mit Trommelbäuchen voller Würmer, Malariakranke.
«… und der Parasitismus entwickelt sich in Bezug auf
jedes
System, und das betrifft nicht nur Lebewesen. Je weniger Variation ein System aufweist, desto schneller werden Parasiten per Evolution in der Lage sein, es massenhaft zu infiltrieren …»
Jetzt kamen Bilder von Masseninfektionen durch verseuchte Lebensmittel – und Aufnahmen von Fast-Food-Restaurants. Kamerafahrten zeigten identische Restaurants an Straßen in Dallas, Denver, Orlando, Phoenix …
«Perfekte Replikation macht jedes System anfällig …»
Dann waren da Bilder von Reihen identischer Computer in Datencentern, die alle mit dem gleichen Betriebssystem liefen …
«Ohne zentrales Nervensystem – geschweige denn Gehirn – ist der Parasit ein simples System, dazu gemacht, einen ganz speziellen Wirt zu infiltrieren. Je gleichförmiger die potentiellen Wirte, desto effizienter die Infiltration.»
Auf dem Bildschirm war jetzt die Videoaufnahme eines Einsiedlerkrebses zu sehen, der sich über den sandigen Meeresgrund bewegte. Die Kamera folgte ihm, während Sobol weitersprach.
«Doch wenn Parasiten so erfolgreich sind, warum haben sie dann die Welt nicht übernommen? Die Antwort lautet schlicht: Sie haben es längst getan. Wir haben es nur nicht bemerkt. Das liegt daran, dass uns erfolgreiche Parasiten nicht töten. Sie werden ein Teil von uns, lassen uns die Arbeit tun, die sie am Leben erhält, und pflanzen sich mit unserer Hilfe fort …»
Der Krebs krabbelte zu seinem Loch.
«Sacculina ist eine Parasitenart, die Krabben befällt. Sie bohrt sich in ihr Fleisch und treibt rankenartige Fortsätze in die Blutgefäße und das Gehirn der Krabbe. Sie unterzieht ihr Wirtstier einer chemischen Kastration und wird selbst dessen neues Gehirn – steuert es wie einen Zombie.»
Auf dem Bildschirm erschien jetzt das Bild einer von Sacculina befallenen Krabbe mit der sackartigen Ausstülpung des Parasiten am Hinterleib.
«Sie zwingt die Krabbe, ihre Parasitennachkommen auszubrüten. Sie versklavt sie.»
Das
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