Dämonen-Reihe Bd. 4 Traumsplitter
aufzuerlegen.
Vorsichtig gab sie Gabriel einen Kuss auf die Schulter, doch er zuckte nur zusammen. Er starrte ins Leere, entschlossen, nichts mehr an sich heranzulassen, das ihn von seiner Entscheidung abbringen konnte. Aber Ella wollte das nicht zulassen, allein die Vorstellung, ihn zu verlieren, trieb sie schier in den Wahnsinn. Es musste eine andere Lösung geben, bei der Gabriel dieser Weg erspart blieb. Die Welt konnte einfach nicht so unfair sein.
Ein Blick auf Gabriels versteinertes Gesicht brachte Ella auf eine Idee. »Es ist spät am Abend«, begann sie zu erzählen. »Beinahe schon zu spät, denn meine Augen brennen, und meine Glieder sind schwer. Ich sollte längst schlafen, aber ich kann nicht. Ich will diesen Tag noch nicht verloren geben, denn er ist langweilig und bedeutungslos gewesen. Genau wie die anderen Tage zuvor. Dabei sehne ich mich nach etwas Besonderem, etwas, das mich spüren lässt, dass ich am Leben bin. Ich wandere umher, zerbreche mir den Kopf, wie ich das Blatt wenden kann. Ich sehne mich nach einem Kick, selbst wenn er sich wie ein Stromschlag anfühlt. Immer noch besser als dieses unendliche Einerlei, von dem ich umgeben bin. Doch es ändert sich nichts, mein Wollen allein reicht für die ersehnte Veränderung nicht aus.
Geschlagen lasse ich mich auf mein Bett fallen und packe den verschwendeten Tag zu den anderen, von denen ich schon einen ganzen Sack voll habe. Ich schlafe ein, ein süßes Ziehen in die Tiefe. Dann beginne ich zu träumen …«
Gabriel stieß ein Geräusch aus, das unter anderen Umständen vermutlich als Lachen
durchgegangen wäre. Ohne Ella auch nur einen Blick aus den Augenwinkeln zuzuwerfen,
übernahm er die Erzählung.
»Zuerst sind meine Träume nicht mehr als ein hektisches Flackern, lauter Splitter, die kein Bild ergeben. Kaum greifbare Empfindungen, Erinnerungsfetzen, durchmischt mit Abstrusem.
Ich bin alt, ich bin jung. Ich bin gar nicht ich – und dann sehe ich plötzlich alles glasklar. Im Erwachen starre ich an die Decke mit dem hässlichen Feuchtigkeitsfleck. Irgendwann wird das Aquarium aus der
WG
über mir durch die Decke brechen. Diese elende
Studentenbude, in der ich seit Monaten mein Dasein friste … ich bin es dermaßen leid. Die Umrisse des Flecks bewegen sich, dann zurrt er zusammen und ist plötzlich verschwunden.
Jetzt erst begreife ich, dass ich nicht wahrhaftig aufgewacht bin. Jemand hat mich geweckt, zumindest einen Teil von mir. Mein schlafender Körper liegt neben mir.
›Du wolltest doch nicht wiederkehren‹, sage ich zu dem Schemen, der neben mir sitzt.
Einige Herzschläge später nimmt der Schemen die Gestalt des braunhaarigen Mädchens
hinter der Theke im Café an, in dem ich heute einige Stunden totgeschlagen habe, anstatt mich auf die anstehende Prüfung vorzubereiten. Gute Wahl, denke ich und grinse die heute Nacht braunhaarige Bernadette an. Vom Aussehen her war das Café-Mädchen absolut mein Typ gewesen.
›Das hatte ich mir auch fest vorgenommen. Ich sollte mich wirklich von dir und deinem Traum fernhalten‹, sagt Bernadette mit ihrer tiefen Stimme, die in allen Nächten dieselbe ist, während sich ihr Äußeres stets wandelt. ›Wir beide haben uns schon viel zu lange
miteinander vergnügt, sodass es allmählich gefährlich wird. Du bist zu verführerisch, mein Schöner. Wenn ich mich nicht langsam von dir abwende, werde ich die Kontrolle verlieren.
Und das wollen wir doch beide nicht.‹
›Ich verstehe das nicht: Die Kontrolle zu verlieren, ist doch genau das, was wir beide jede Nacht gemeinsam tun.‹
Die geliehene Miene des Mädchens aus dem Café wird schlagartig ernst, ihr hübscher
Mund ist nicht mehr als ein Strich. ›Es ist dein Traum, du tust in ihm, was du willst. Begreifst du den Unterschied nicht, du dummer Junge?‹ Dann ziehen sich die Mundwinkel nach oben, aber es wird kein echtes Lächeln, und ich fühle mich zusehends unwohl in meiner Haut.
Wenn die Realität nichts weiter als zähe Langeweile ist, sollten zumindest die Träume einen Ausgleich schaffen. Allerdings verspricht dieser Traum keineswegs die erhoffte Befreiung. Nur mit Mühe und Not widerstehe ich der Versuchung, ihn in ein Abenteuer zu verwandeln, denn als ich mich schlafen legte, hatte ich nicht damit rechnen können, dass Bernadette erscheinen und mich wecken würde. Sie hatte gesagt, sie würde sich von mir fernhalten müssen. Also sollte ich besser jede Sekunde mit ihr ausnutzen, anstatt sie zu verärgern.
›Gut,
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