Dämonendämmerung - Die Auserwählte (German Edition)
hatte etwas Angenehmes, ein Gefühl, das sie so lange wie möglich auskosten wollte. Langsam zeigten auch die Schmerztabletten Wirkung, deshalb entschied sie sich, den knappen Kilometer ins Büro zu laufen.
Doro wohnte am oberen Dorfrand, die Redaktion hingegen lag ziemlich genau im Zentrum des Städtchens. Sie folgte der Straße, die sich in mehreren sanften Kurven bergab in Richtung der Ortsmitte wand. In den Gärten blühten schon Dahlien, Astern und Herbstanemonen. Ihr Blick wanderte weiter zu dem kleinen Park am unteren Ende der Straße. Die Herbstzeitlosen übersäten die Rasenflächen mit ihren zartlila Kelchen und das Laub der Bäume hatte bereits erste Spuren von Rot- und Goldtönen angenommen. Ein sicheres Zeichen, dass der Sommer endgültig vorüber war und der Herbst bereits anklopfte. Mit ihm kamen die kalten, dunklen Monate, die sie so verabscheute, denn es war die Zeit der schweren Gedanken, der Selbstzweifel, der Einsamkeit und der Trostlosigkeit.
Fünf Jahre lag der Unfall nun zurück, der ihr Leben radikal verändert hatte. Trotzdem kam es ihr vor, als wäre es gestern gewesen. Er hatte ihre Zukunft als Vielseitigkeitsreiterin zerstört. Ihr großer Traum, auf den sie seit ihrer Jugend hingearbeitet hatte, war von einer Sekunde auf die nächste wie eine Seifenblase geplatzt. Doro war in ein bodenloses Loch gestürzten, aus dem sie sich bis heute nicht vollständig befreit hatte. Der Unfall hatte seine Spuren hinterlassen. Auf ihrem Körper in Form von unschönen Narben, auf ihrer Seele waren es die verborgenen Wunden, die nicht verheilen wollten. Und die waren die schlimmsten. Vielleicht taten sie mittlerweile ein bisschen unterschwelliger weh, doch der Schmerz saß immer noch tief genug, damit sie weder innere Ruhe noch Frieden fand. Selbst nach all den Jahren, die mittlerweile vergangen waren, fühlte sie sich verkrüppelt, nutzlos, entstellt und wenig begehrenswert. Ihr innigster und gleichzeitig absurdester Wunsch war das Nichtauffallen geworden. Sie wollte in der Masse der Menschen verschwinden, wobei ihr die scheinbare Unauffälligkeit Schutz geben sollte. Besonders intensiv überfielen sie diese negativen Empfindungen in stillen Momenten, in denen sie alleine war. Dann holte sie die Vergangenheit ein. Bleischwer hingen die Erinnerungen in ihrem Kopf fest, ließen sich nicht abschütteln und umhüllten sie mit der Endgültigkeit eines Leichentuchs. Nein, diese Gefühle umhüllten sie nicht nur, denn aus einer Umhüllung hätte sie sich befreien können. Sie umschlangen Doro mit einer ungeahnten Intensität und versuchten, sie zu erdrücken. Es war, als wollten sie ihr die Luft zum Atmen und die Lust am Leben nehmen. In diesen Momenten wich sämtliche Farbe aus ihrer Welt. Übrig blieb Schwarz. Kein Weiß, nur leeres Schwarz. Und die Frage, um die unermüdlich ihre Gedanken kreisten. Eigentlich war es keine richtige Frage, sondern nur ein einzelnes Wort: Warum?
Doro wusste genau, dass es auf dieses „Warum“ keine Antwort gab. Sie hätte es sich wesentlich leichter gemacht, wenn sie in der Lage gewesen wäre, zu akzeptieren, dass es ihr Schicksal war, an jenem Tag zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein. Doch das konnte sie nicht, dazu war die Geschichte viel zu widersinnig. Aber trotzdem war das Ganze passiert, hatte sie um eine hoffnungsvolle Zukunft gebracht und sie schließlich als unbedeutende Lokalreporterin bei einem ebenso bedeutungslosen Käseblatt, dem Kirchbronner Boten , stranden lassen.
Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Es war Viertel vor Neun. Wenn sie vor Maar in der Redaktion sein wollte, musste sie sich beeilen.
Kapitel 2 – Das Interview
Doro stürmte in den Eingangsbereich. Erst der Empfangstresen stoppte ihren Lauf. Atemlos lehnte sie sich auf das halbhohe, schwarz-weiße Sperrholzungetüm, das dem aparten Siebziger-Jahre-Design nach zu urteilen, gut und gern zehn Jahre älter war als sie selbst.
„Morgen, Doro. Alles okay mit dir?“, wollte Lille wissen, die gerade mit der Hauspost beschäftigt war.
Ihre Freundin Lille, eigentlich Liliane Sommer, arbeitete ebenfalls bei der Zeitung. Sie war so eine Art Mädchen für alles, was vom Empfang der Besucher über die Kleinanzeigenannahme am Schalter, bis hin zur Postverteilung so ziemlich jede Tätigkeit einschloss, auf die andere keine Lust hatten. Lille war die gute Seele der Zeitung.
„Ja, klar. Ich habe total verpennt. Ist er schon da?“, fragte Doro.
„Wer?“ Lille strich sich
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