Dämonenkind 3 - Kind des Schicksals
Dass beide Handlungen auf Befehlen Adrinas beruhten, scherte Hablet möglicherweise wenig. Tarjanian zog die Schlussfolgerung, dass die Männer wahrscheinlich in der Heimat das gleiche Schicksal erwartet hätte. Sie hatten lediglich das Unabwendbare vorverlegt.
Tarjanian verbrachte nahezu einen Monat im karischen Heerlager, bevor die Flöße fertig wurden und man ihn über den Gläsernen Fluss beförderte, um ihn unter schwerer Bewachung zur Zitadelle zu bringen. Weder bekam er unterwegs etwas zu sehen, noch erhaschte er bei der Ankunft einen Blick auf die Zitadelle, während die Karier dort im Triumph Einzug hielten. Herzog Rollo hatte in Hirschgrunden eine geschlossene Kutsche beschlagnahmt, in der Tarjanian die gesamte Fahrt lang, bei Tag und Nacht, ausharren musste; nur jeden Morgen und jeden Abend durfte er aussteigen, um die Notdurft zu verrichten. Bei Dunkelheit führte man ihn in eine Zelle des hinter der Hochmeister-Kanzlei gelegenen Karzers. Dort blieb er von allem Neuen, was auf der Welt geschah, vollständig abgeschnitten.
Ob die Zitadelle sich ohne Aufhebens ergeben hatte oder ob sie heftig umkämpft worden war, wusste Tarjanian nicht; ihm war nicht einmal bekannt, ob das Hüter-Heer noch bestand oder ob Herzog Rollo es aufgelöst hatte. Die Karzer-Wächter sprachen kein Medalonisch, und weil er nicht offenbaren wollte, dass er ihre Sprache kannte, entstanden keine Unterhaltungen. Sicherlich tratschten sie während des Dienstes täglich über Neuigkeiten, doch lag die Wachstube zu weit entfernt von seiner Zelle, als dass es ihm möglich gewesen wäre, sie zu belauschen.
Während er allmählich, was den Verlauf der Tage anbetraf, den Überblick verlor, spürte Tarjanian in zunehmendem Maße die zermürbenden Auswirkungen der Einzelhaft. Mittlerweile hatte er oft und lange genug hinter Gittern gesessen, um an Einsperrung gewöhnt zu sein – eine Erscheinung, die ihn stärker beunruhigte, als er sich selbst eingestehen mochte –, aber bisher hatte er jedes Mal die Möglichkeit gehabt, seinen Geist zu beschäftigen.
Selbst die Folterknechte, die sich einst bemüht hatten, ihm mittels Prügel und heißer Eisenstangen die Namen seiner Rebellen-Kameraden zu entlocken, hatten ihn immerhin vor eine große Herausforderung gestellt, nämlich ihnen zu widerstehen. Hier dagegen, wo er in derartig abgesonderter Vereinzelung hockte, dass er tagelang niemanden sah, wurde ihm der Wert menschlicher Nähe immer schmerzlicher bewusst. Doch ihm kam buchstäblich kein Mensch mehr vor die Augen. Auch das Essen erhielt er durch eine Klappe der Eisentür gereicht.
Zunächst versuchte er den Verstand mit dem Erklügeln von allerlei Fluchtplänen zu beanspruchen, doch da er über keinerlei Werkzeug verfügte, ebenso ihm eine Verbindung zu irgendwem in der Außenwelt fehlte, der sie ihm womöglich verschafft hätte, mussten all diese Überlegungen fruchtlos bleiben. Aufgrund der Erwägung, das Vortäuschen einer Erkrankung könnte die Wachen in seine Zelle locken, hämmerte er gegen die Tür, jedoch ließ man ihn lärmen, bis seine Fingerknöchel wund waren und er sich heiser geschrieen hatte, ohne dass jemand sich darum gekümmert hätte.
Zuletzt stand Tarjanian vor der Frage, ob die Absonderung sich als eine eigene Art der Folter auswirken mochte. Es gab durchaus Schlimmeres als Schmerz, Ärgeres als Erniedrigung oder Niederlagen: Vergessen zu werden; so unwichtig zu sein, dass es niemanden kümmerte, ob man lebte oder verreckte. So etwas mochte sich als die tiefste Bitternis überhaupt erweisen.
Da also eine Flucht – ja sogar die bloße Hoffnung ans Ausbrechen – ein Hirngespinst blieb, wandte Tarjanian seine Gedanken der Innenschau zu. Allerdings stellte sich die Selbstbetrachtung als gefahrvolles Denkspiel heraus. Eine Vergangenheit erfüllte sein Gedächtnis, die ihn, obschon er immer mehr zu dem Rückschluss neigte, dass sie auf Tatsachen fußte, gründlich entsetzte.
Aus irgendeinem Grund – vielleicht gar, wie Mandah es angedeutet hatte, infolge der Laune einer Gottheit – war er in wahnwitziger Liebe zu R’shiel entbrannt gewesen. Er entsann sich an alle Einzelheiten, jede Gefühlswallung, jeden Augenblick der Begierde, jeden Kuss, jede Umarmung, an jede Stunde, die sie in seinen Armen gelegen hatte.
Als das größte Rätsel empfand er es, weshalb es ihn damals nicht erschreckt hatte – und wieso es ihm heute solches Grausen einjagte. Rein vernunftmäßig hatte er darüber völlige Klarheit; R’shiel
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