Dämonenkind 3 - Kind des Schicksals
Gestalt am Strand. Loclon kroch aus der Höhle, um genauer hinzuschauen.
Anscheinend war es eine Frau, doch aus der Ferne konnte er sie nicht erkennen. Erregung schwoll in Loclon empor.
Die Fremde sah ihn übers Ufer taumeln und kam ihm entgegen. Loclon hob, da er sich ganz sicher war, der Rettung nahe zu sein, die Hand zum Gruß. Die Frau war von hohem Wuchs und bewegte sich mit einer unbekümmerten Anmut, die sich mit Siechtum nicht vereinbaren ließ. Sie zählte nicht zu den Verbannten.
»Sei mir gegrüßt, Loclon.«
Beim Klang ihrer Stimme erstarrte Loclon. Die Frau trat auf ihn zu.
»R’shiel!«
»Anscheinend überrascht dich mein Kommen, Loclon. Dabei müsste dir doch klar gewesen sein, dass ich mich nach dir auf die Suche begebe.«
Argwöhnisch betrachtete Loclon sie. R’shiel sah aus, als ob ihre Hexen-Zauberkräfte in ihr kochten, jedenfalls waren ihre Augen so schwarz wie die Nacht. Das Haar war bis fast auf die Schultern nachgewachsen, sanft zauste es der Wind vom Meer. Loclon brauchte etliche Augenblicke, um zu begreifen, inwiefern sie sich verändert hatte. Nicht ihre Haltung stiller Selbstsicherheit machte den Unterschied aus, auch nicht die Ausstrahlung geballter innerer Machtfülle.
Vielmehr war es ihre Furchtlosigkeit.
Achtsam wich Loclon um einen Schritt zurück. »Du hast mich gesucht?«
»Hast du daran gezweifelt?«
Hoffnung loderte in Loclon auf, als er schlussfolgerte, nun wirklich der Rettung nahe zu sein. R’shiel hatte die Absicht, ihn von der Insel fortzuschaffen. Wahrscheinlich wollte man ihn in Ketten zur Zitadelle befördern, aber diese Aussicht zog er dem Verweilen auf Slarn bei weitem vor; sie gefiel ihm besser als ein schier endlos sich hinziehendes Verrecken an Maliks Fluch, der die Erkrankten bei lebendigem Leibe auffraß. Loclon war überzeugt, dass ihm beizeiten, gleich wo, die Flucht gelänge: entweder unterwegs oder in der Zitadelle.
Er nickte und hielt ihr die Hände entgegen. »Ich unterwerfe mich ohne Widerstand. Ich leiste keine Gegenwehr.«
Kurz musterte R’shiel ihn, ehe sie lächelte. Ihr Lächeln jagte ihm ein eisiges Schaudern durch Mark und Bein.
»Vor einer Weile hat Gevatter Tod mir erklärt, Loclon, dass das Böse stets seinen Lohn findet. Jetzt verstehe ich, wie er diese Äußerung gemeint hat.«
»Wovon redest du da? Ich ergebe mich dir. Nimm mich gefangen.«
»Ich lege keinen Wert auf deine Gefangennahme.«
»Was ist es dann, das du willst?« , schrie Loclon, denn nun packte ihn Entmutigung.
»Vergeltung«, gab R’shiel leise zur Antwort.
»Dann übe Rache! Nimm mich mit. Bring mich in die Zitadelle. Soll man mich vor Gericht stellen! Ich gestehe, ich erzähle alles, was ich dir angetan habe. Man wird mich aufknüpfen, R’shiel, du weißt es. Schändung gilt als schweres Verbrechen. Du kannst zuschauen und mich baumeln sehen. Vor meinem Leichnam kannst du stehen und frohlocken. Nur lass mich dieser Insel entgehen! Schaff mich fort! « Er flehte und jammerte drauflos, ohne sich zu schämen.
»Nein, Loclon, ich denke gar nicht daran.«
Sie kehrte ihm den Rücken zu und entfernte sich längs des Ufers. Die Wellen glitzerten, während sie an den kiesigen Strand schäumten. Loclon sank auf die Knie, schluchzte vor Grausen.
»Du kannst mich doch hier nicht zurücklassen! Hab Erbarmen!«
Sie hielt inne und schaute sich über die Schulter um. Die glitzernden Wellen spiegelten sich in ihren schwarzen Augen. »Erbarmen?«
»Ich bitte dich inständig, R’shiel, nimm mich mit dir fort von der Insel. Ich tu alles, was du verlangst. Gern will ich so viel leiden, wie du es willst. Bloss schaff mich von dieser verfluchten Insel fort, bevor mich die Krankheit ereilt!«
R’shiel stand da und sah mit an, wie er auf den Knien Barmherzigkeit erflehte. Gleiches hatte sie ihm schon einmal zugemutet. In Grimmfelden hatte er das erste Mal vor ihr kriechen müssen. Sobald er Slarn verlassen und wieder die Oberhand gewonnen hatte, sollte sie für beide Erniedrigungen bitter büßen. Vorerst jedoch …
Sie schwankte. Er sah es ihr an. Und sie kam zu ihm zurück. Er fasste neue Hoffnung. Zum Teil war sie Harshini, oder nicht? Harshini sollten des Tötens unfähig sein. Im innersten Kern fehlte ihr, was es zum herzlosen Töten brauchte. Dass er noch lebte, galt ihm dafür als Beweis. Überdies war sie im Schoß der Schwesternschaft aufgewachsen. Sie glaubte das ganze Gefasel von Recht und Ehre. Alles in allem besehen, konnte sie überhaupt nicht dazu imstande
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