Dämonentor
wir vernahmen, waren das Singen des Windes,
das Klappern der Hufe und das Scheppern unserer Ausrüstung. »Dort oben auf
halber Höhe liegt eine Höhle«, bemerkte der Läu fer, der uns gerufen
hatte. »Dort lebt sie und kommt nur heraus, um zu trinken oder nach Nahrung zu
suchen. Zuerst brachten ihr die Dorfbewohner noch täglich Essen. Doch als sie
in ihrem Wahn einen von ihnen tötete, hörten sie damit auf.«
Solch
tragische Verwahrlosung ist in England unvorstellbar. Dort werden die armen
Opfer dieses abscheulichen Leidens mit verbundenen Augen in Tollhäusern
untergebracht, sodass sie ihre Pfleger nicht töten können. Aber was kann man
von diesen halbwilden Kindern der Berge anderes erwarten?
Ich darf
sagen, dass die Exekution ohne Vorkommnisse verlief, auch wenn ich dieses Wort
in diesem Zusammenhang verabscheue. Dennoch war es ein erschütterndes und in
keinster Weise erfreuliches Ereignis, wie das bei einer echten Großwildjagd ja
oftmals der Fall ist. Als wir zu der kleinen Schlucht kamen, in der die Frau
hauste, besprachen wir uns. Ich befahl Sergeant Singh, einen Trupp Schützen mit
geladenen Gewehren hinter den Felsen zu postieren, sodass sie uns Schutz gewähren
würden, sollte das Monster uns angreifen.
Auf
diese Weise vorbereitet, stieg ich vom Pferd und trat an des Mehtars Seite, um
mich für den Abstieg in das Tal des Todes zu rüsten.
Sicherlich
hast auch Du bereits so manche sensationslüsterne Geschichte über die Gorgonen
gelesen – über die abstoßenden Zustände, in den sie dahinsiechen; über
Leichenhäuser voll kalzinierter menschlicher Überreste; über Knochen, die in
den grässlichsten Verrenkungen aus Wänden und Decken ragen, während die
Besessenen, die diese Körper schlachteten, irre zwischen ihren Opfern hin und
her taumeln. Diese Geschichten sind – das kann ich zum Glück beteuern – nichts
als reine Erfindungen, ein Lügennetz gewoben aus der fruchtbaren
Einbildungskraft verachtenswerter Schmierfinken, die ihre Erzeugnisse um der
reinen Sensation willen verkaufen. Was wir jedoch entdeckten, war weniger
schrecklich und gleichzeitig viel schlimmer.
Wir
befanden uns in einem Tal voller Geröll. Auf einer Seite erspähten wir bald die
Höhle, kaum größer als ein Riss im Gestein. Eine alte Frau saß davor, mit
geschlossenen Augen summte sie eine seltsame Melodie. Vor ihr waren die
Überreste einer Feuerstelle zu sehen. Sie schien zu weinen, denn Tränen liefen
ihre eingefallenen, faltigen Wangen hinab.
Der
Mehtar gab mir zu verstehen, dass er zu ihr gehen wollte. Noch ehe ich den
edlen Mut, den er bewies, so ganz begriff, trat er an das Feuer. »Einen guten
Abend wünsche ich dir, Tante. Es wäre gut, wenn du deine Augen weiterhin
geschlossen hieltest, damit meine Wachen sich nicht gezwungen sehen, dich zu
töten.«
Die Frau
sang leise weiter – es klang wie das Wehklagen eines Wesens, das bereits so
lange geweint hat, dass sein Hals keinen vollen Laut mehr von sich geben kann.
Doch ihre Augen blieben gehorsam geschlossen. Der Mehtar kniete sich vor sie
hin.
»Weißt
du, wer ich bin?«, fragte er sanft.
Das
Wehklagen verstummte. »Du bist der Königliche«, erwiderte sie mit heiserer
Stimme. »Man hat mir gesagt, dass du kommen würdest.«
»Und
hier bin ich«, bestätigte er voll Mitgefühl. Er winkte mich stumm heran. »Es
betrübt mich, was aus dir geworden ist.«
»Es tut
weh.« Sie schluchzte auf und überraschte so die Soldaten, von denen sich einer
sogleich halb aufrichtete. Ich signalisierte ihm, sich ruhig zu verhalten. »Ich
wollte meinen Sohn noch ein letztes Mal sehen …«
»Es ist
gut, Tante«, sagte der Methar leise. »Du wirst ihn bald wiedersehen.« Er
streckte eine Hand nach mir aus. Ich hielt ihm meine Ledertasche hin, der er
den Spiegel entnahm. »Bereite dich auf deinen ewigen Frieden vor, Tante. Das
Ende deiner Schmerzen ist nah.« Sorgfältig schützte er mit dem Spiegel sein
Gesicht. »Öffne deine Augen, wenn du so weit bist.«
Sie
schluchzte ein letztes Mal und tat dann, wie er ihr geheißen hatte. Meine liebe
Nellie, ich wusste wahrlich nicht, was ich erwarten sollte, aber ich hatte
sicherlich nicht mit diesem Anblick gerechnet: ein altes Mütterchen, das sein
Haus verlassen hatte, um mit einem stechenden Schmerz in ihrem Kopf zu sterben,
umgeben von Elend und Einsamkeit. Ihr König ersparte ihr das schlimmste Leid,
denn sobald sie in den Spiegel blickte, veränderte sie sich. Die Sage, dass
eine Gorgone ihr Opfer, das sie erblickt,
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