Dämonenturm - Band 1: Stein auf Schädel (German Edition)
Pfandleiher eingekleideten Schüler, der sich in einem unverständlichen, fremden Traum wähnte, an der Hand und führte ihn die Hauptstraße hinauf ins Herz von Anet Taoren. Die beiden wanderten durch die nächtlichen Straßen der Stadt, die kaum weniger belebt waren als bei Tag. Fackeln brannten, Karren fuhren durch die Straßen, beladen mit so verschiedenen Waren wie Seide, Gewürze, alle Arten von getrockneten und gesalzenen Meerestieren, Holz aus dem Ostwald bei der Grenzfeste.
Hin und wieder ritten zwischen denen von grün angestrichenen Holzbalken gestützten Backsteinhäusern Reiter hindurch, schaurige, dachte Mjir, nur vage menschenähnliche Gestalten, ganz und gar aus Metall. Ihre Kopfform war platt und grausam, ihren leeren Gesichtern fehlten Augen, Nase und Mund. Es war schlimmer als in die Augen eines Toten zu blicken. Der hatte wenigstens welche. Diese Reiter besaßen nur schwarze Schlitze anstelle der Augen, leere Höhlen, die nichts verrieten und doch mit allem drohten. Als eine solche Reitergruppe an den beiden vorbeikam, drückte der verschreckte Mjir sich an die nächste Mauer.
Alagotis beugte sich zu ihm hinunter.
»Was ist? Mjir, was hast du denn auf einmal?«
»Ha-hast du diese Monster gesehen?«, flüsterte der junge Felswinder, »diese Gestalten aus Metall? Was tun sie hier? Warum lassen die Leute solche abscheulichen Ungeheuer in ihre Stadt?«
Der Sänger lachte. »Ungeheuer? Die Rittgardisten? Sie sind die gefürchtetsten Soldaten des Königs und werden von allen respektiert. Wieso nennst du sie Monster?«
»Sie … meinst du etwa, das sind Menschen?«
»Aber ja. Sie tragen eine Rüstung, wie alle Soldaten.«
»Soldaten? Was sind Soldaten?«
»Was ist das, was sind sie, kannst du nie etwas anderes fragen? Du meine Güte, ich hätte nie geglaubt, einmal einem fünfzehnjährigen Jungen erklären zu müssen, was ein Soldat ist. Ich meine, alle Jungen wissen, was ein Soldat ist. Das ist, als wüsste ein Mädchen nicht, was Seide und Brokat sind.«
»Was sind Seide und Brokat?«
»Schon gut, schon gut, kehren wir zum ursprünglichen Thema zurück, einverstanden? Ein Soldat ist jemand, dessen Beruf es ist gegen andere Leute zu kämpfen. Deswegen tragen sie die Rüstungen. Damit, wenn sie ein Schwertstreich trifft, dieser möglichst abgefangen oder abgelenkt wird.«
»Sie kämpfen gegen andere Leute? Töten sie?«
»Ja.«
»Aber warum lassen die Leute solche Männer in ihre Stadt? Sie müssen doch fürchten jeden Moment von ihnen umgebracht zu werden.« Mjir schauderte. »Was für Schreckensgestalten. Kaum vorstellbar, dass es Menschen gibt, die zu so etwas fähig sind.«
»Warum sie sie in die Stadt lassen? Mein lieber Junge, sie sind hier um die Stadt vor anderen Soldaten, feindlichen Soldaten, zu beschützen!«
»So wie die Helden, von denen du mir erzählt hast?«
»In etwa, ja. Obwohl der gemeine Soldat für gewöhnlich nicht zum Helden taugt.«
Mjir hatte ein verräterisch gutes Gedächtnis für Details. »Aber … du hast mir gesagt, nur Helden könnten zwischen gut und böse unterscheiden. Wie machen die Soldaten das denn dann? Woher wissen sie, wer der Böse ist, den sie töten müssen, und wer nicht?«
»Nun, das ist eine ganz einfache Frage. Siehst du den Speer, den der vorderste Reiter trägt?«
Die Rittgardisten verschwanden gerade um die nächste Straßenecke, doch Mjir erhaschte noch einen Blick auf den Speer, um den ein langer Stoff herumgewunden war, dessen Farben sich in den Schatten des Abends verbargen.
»Ja. Es hängt ein Stück Stoff daran.«
»Dieses ‚Stück Stoff’ ist das Banner von Iakainor. Am Banner oder Wappen erkennen Soldaten Freund und Feind.«
»Soll das heißen Soldaten … tun einfach nur, was der Mann mit dem Banner sagt?«
»Im wesentlichen, ja.«
»Und … wenn er lügt?«
Alagotis schaute ihn verwirrt an. Dann schüttelte er den Kopf und winkte ab.
»Ach, deine nicht enden wollenden Fragen machen mich hungrig. Es wird Zeit, dass wir deinen andauernd offenen Mund mit etwas Schmackhaftem stopfen.«
Sofort vergaß Mjir alle Fragen, die in seinem Kopf herumschwirrten. Er hatte in den letzten Wochen nichts anderes gegessen als Smjürgsfdlrag, und nach einer solchen Diät sehnte man sich nach einem Essen, das weniger als einen Monat alt war.
»Ah, bin ich pappsatt.« Alagotis rülpste auf höchst unpoetische Weise. »Warte hier auf mich, ich muss kurz einem gewissen Drang Folge leisten.«
»Welchem denn?«
»Mein lieber Junge, ich
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