Dämonenturm - Band 1: Stein auf Schädel (German Edition)
…«
»Worüber reden sie alle?«, flüsterte Mjir seinem Freund zu.
»Worüber? Mjir, hast du es nicht bemerkt? Die Delegation aus Erthain fehlt.«
»Wie, sie fehlt?«
»Nun, sie ist nicht gekommen. Einfach so.«
»Und was soll das bedeuten? Warum sind sie nicht gekommen?«
»Eben das fragen sich die meisten Leute hier auch. Aber wenn du mich fragst, sollte man sich deswegen keine grauen Haare wachsen lassen.« Er lächelte abschätzig. »Letztes Jahr wurden die Karren dieser Wilden von einer Art Ochsen gezogen. Grausige Biester. Riesig, tonnenschwer und so schwarz wie der Dämon. Man bekommt eine Heidenangst, wenn man sie sieht. Aber sie schlafen den halben Tag und bewegen sich den Rest davon langsamer als Schnecken. Vermutlich kommen die Erthainer mit ein paar Tagen Verspätung. Oder ein paar Wochen.«
Vom Strom der Menschen nach vorne getrieben, setzten sie ihren Weg nach unten fort. Und dann standen sie mit einem Mal am Fuße der Treppe vor einem großen, offenen Torbogen, und die Halle, die Mjir bisher nur von der Galerie aus gesehen hatte, tat sich vor ihnen auf.
»Du hast meine offizielle Staun-Erlaubnis«, meinte Lenrik grinsend. »Ich sehe schon, du hast dich auch auf den zweiten Blick in sie verliebt. Mjir, wenn ich vorstellen darf, dies ist die schönste Halle in allen Ländern Weitwelts: der Dom des Lichts. Diesmal von unten, aber deswegen nicht schlechter.«
Diesen Titel hatte die Halle wahrlich verdient. Das Elvenbein schimmerte im hellen Sonnenlicht heller als Silber, und das Gewölbe schien tatsächlich aus nichts mehr zu bestehen als glühenden, jauchzenden Sonnenstrahlen.
In der Mitte des Doms war ein erhöhter Sitz aufgerichtet worden, und dort saß der König, umgeben von seinen treuesten Beratern und Vasallen. Kaum hatten die beiden Jungen die Halle betreten, als der Herrscher die Hand hob. Es wurde still.
Der König blickte um sich, ein Lächeln auf seinem Gesicht trotz der Sorgenfalten, die sich auf seiner Stirn abzeichneten.
»Wir sind wieder einmal alle zusammengekommen«, begann er, »wir Brüder und Schwestern aus ganz Iakainor, dem letzten verbleibenden Land aus dem ruhmvollen alten Kaiserreich, um das hohe Fest des Mittsommers gemeinsam zu begehen. Doch wenn ich sage alle , so muss ich innehalten und sprechen – nein, doch nicht alle. Unsere Freunde aus Erthain, gute Menschen und treue Vasallen, sind heute nicht bei uns. Ich fürchte, dass ihnen ein Unglück zugestoßen ist. Ich erhalte seit kurzem Berichte von vermehrter Straßenräuberei und dunklen Umtrieben in unserem Reich, die mich sehr schmerzen.«
Er hielt einen Moment inne und ließ seinen Blick über die Versammelten schweifen.
»Folglich habe ich Reiter ausgeschickt um das Schicksal der Herren aus Erthain zu erkunden. Sollte irgendjemand jedoch bereits darüber etwas wissen und diese Sorge von unseren Herzen nehmen können, so möge er vortreten.«
Niemand rührte sich. Niemand sagte ein Wort.
»Nun gut«, seufzte der König. »Hoffen wir also weiter das Beste. Aber dieser Schatten soll nicht ungebührlich auf dem heutigen ehrenvollen Fest lasten. Viele Gäste sind von weit her gekommen, um heute bei uns zu sein.«
Bei diesen Worten richteten sich seine Blicke hinauf zur Galerie, wo man eine Reihe schlanker, verschleierter Gestalten erkennen konnte.
»Gäste, die wir wohl kaum noch einmal in unseren Hallen werden begrüßen können. Und daher werden wir dafür sorgen, dass sie unsere Gastfreundschaft nie vergessen, auf dass sie davon in dieser und in anderen Welten künden.
«Mit der Rechten griff Arun nach seinem Zepter, erhob es und ließ es auf ein kupfernes Pult neben seinem Thron niederfahren. Ein reiner Ton, klar wie der Morgentau auf den Blüten der Rosen, schwang durch den Dom.
»Das Fest möge beginnen.«
Mjir versuchte einen Blick auf die Mitte der Halle zu erhaschen. Lenrik hatte er aus den Augen verloren, aber das war ihm im Moment auch egal, er war viel zu gespannt darauf, was er jetzt zu sehen bekommen würde. Leider stand er nicht weit vorn, aber er war größer gewachsen als die meisten um ihn herum und konnte, indem er sich entlang der Wand in eine günstigere Position schob und sich auf die Zehenspitzen stellte, über die Köpfe der Menge hinwegspähen.
In der Mitte des Doms, vor und um den Königsthron, war eine freie Fläche entstanden. Ein Mann in prächtiger, bunter Kleidung und mit einem exotischen Instrument aus dunklem Holz in Händen trat vor und verbeugte sich.
Es war
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