Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke
Pickelhaube verordnet wurde – erodiert, rundgeschliffen vom Zahn der Zeit und dem sauren Regen, ebenso wie der Obelisk mit der fast lebensgroßen Erinnye davor. Von ihrer Hand, die früher einen Griffel hielt, ist nur noch ein moosbewachsener Stummel übrig, der in uns sofort die Frage aufkeimen lässt, ob auf diesem aufgelassenen Gottesacker inzwischen vielleicht islamistische Fundamentalisten ihr Unwesen treiben.
Hat diese Frau gestohlen?
Inmitten dieser bröselnden Vergangenheit kommen einem die von der Stadt aufgestellten Informations-Stelen aus Edelstahl vor, als hätten sie irgendwelche Außerirdischen hier hingepflanzt. Sie enthalten eine ziemlich kurze Aufzählung dessen, was auf dem ehemaligen Gottesacker erlaubt ist (Joggen auf den Wegen und das Verweilen auf den Rasenflächen), gefolgt von einer ellenlangen Liste von Verboten und dem Satz: »Die parkähnliche Friedhofsnutzung spiegelt das Münchner Lebensgefühl wider …« Wie wahr, kann man da nur beipflichtend sagen.
Wir verlassen den Friedhof am Ausgang Arcisstraße, vorbei an einem Altglascontainer, vor dem ein Mann in karierter Holzfällerjacke steht. Er hat eine russisch anmutende Pelzmütze auf dem Kopf und die Hand am Lenker eines mit prall gefüllten Plastiktüten behängten Fahrrads. Wir sind uns sicher, dass er, sobald wir an ihm vorbei sind, mit irgendeinem selbst gebastelten Instrument in den Containern nach versehentlich eingeworfenen Pfandflaschen stochern wird. So geschleckt diese Maxvorstadt, in die wir inzwischen hinüber gewandert sind, auch ist, hin und wieder sieht man selbst hier Menschen im Vorbeigehen einen prüfenden Finger ins Geldrückgabefach eines Parkautomaten stecken, einen Blick in einen der wenigen verbliebenen öffentlichen Papierkörbe werfen, auf der Straße zwischen den Semmelpanzern vom Typ Porsche Cayenne und BMW X5 sich rasch bücken und etwas aufheben, das die Bewohner der zu den Edelkarossen gehörenden Luxusquartiere nicht einmal bemerken würden. In dieser Stadt, so stellen wir fest, ist kein Platz mehr für die Armen und die Alten, aber irgendwie sind sie trotzdem noch da.
Die Arcisstraße entlang, vorbei an frisch renovierten 60er-Jahre-Kästen mit Videokameras über den Eingängen, die jedem Hochsicherheitsgefängnis zur Ehre gereichen würden, und millionenteuren Pinakotheken, die schon ein paar Jahre nach ihrer Eröffnung zu betonbröckelnden Kulturgräbern werden.
Natürlich war das hier nie ein armes Viertel. Schon damals nicht, als Ludwig I. sich mit dem Königsplatz seinen hellenistischen Themenpark auf die grüne Wiese stellte, diese Möchtegern-Akropolis am Rand einer verständnislos den Kopf schüttelnden Stadt. Seinem Beispiel folgten – vom König mit sanftem Zwang genötigt – die Schnösel des 19. Jahrhunderts und errichteten ihre Malervillen und Geldpaläste, und einige Jahrzehnte später verunstalteten die in München groß gewordenen Nazis den Königsplatz mit pseudo-klassizistischen Ehrentempeln und machten ihn zum Aufmarschgelände ihrer braunen Kohorten.
Hinüber zum Karolinenplatz mit seinem schwarzen, an Tausende tote Bayern in Napoleons Russlandfeldzug erinnernden Obelisken, kreisrund umstanden von den Gebäuden der staatlichen Lotteriebehörde, des bayerischen Müllerbunds und dem nur noch mit einer Gnadenfrist versehenen Amerika Haus. An der Zentrale des Sparkassenverbandes tut der Bayer gerade mal wieder das, was er am liebsten tut: Er baut. Beziehungsweise er lässt bauen, vorzugsweise von osteuropäischen Akkordarbeitern, die im 21. Jahrhundert dafür sorgen, dass das Feuchtwanger’sche München-Motto »Bauen, brauen, sauen« nicht in Vergessenheit gerät.
Nun sieht München in weiten Teilen ja jetzt schon so geschleckt aus, dass man sich bisweilen als der erste Benutzer einer vor ein paar Tagen neu eröffneten Stadt fühlt, und trotzdem findet man offenbar immer wieder etwas, das man noch schöner, noch moderner, noch wertiger machen könnte. Im Fall der Sparkasse sind dazu offenbar irgendwelche unglaublich langen Rohre nötig, mit denen ein stattlicher Autokran gerade seine liebe Mühe hat. Das Bizarre an dieser Baustelle ist, dass die Zufahrt zum hinteren Teil des Grundstücks so keimfrei-sauber mit einer weißen Plane ausgelegt ist, als ginge es darum, eine Operation am offenen Herzen vorzunehmen. Nicht auszudenken, welcher Imageschaden entstehen könnte, wenn das Straßenpflaster vor der Bankzentrale schmutzig würde …
Auch an der Max Joseph Straße, auf der wir
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