Daisy Goodwin
gewesen, dass ihr altes Ich
so vollkommen ausgelöscht werden würde. Nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht
hatte es sie geradezu geschmerzt, als er aufstand und sie sich voneinander
lösen mussten – als hätte sie eine Haut verloren. Und mit jedem folgenden Tag
und jeder folgenden Nacht hatte sich dieses Gefühl nur noch verstärkt; sie war
nur dann ruhig und zufrieden, wenn er sie in den Armen hielt, wenn seine Haut
ihre bedeckte. Noch nie im Leben war sie sich ihrer Sinne so bewusst gewesen.
An jenem Morgen in Venedig war er
nach dem Frühstück verschwunden. Es war zu heiß gewesen, um hinauszugehen,
und Cora war ziellos durch den Palazzo gelaufen. Sie hatte versucht, ihren
Baedeker zu lesen, konnte sich aber auf nichts konzentrieren, solange er nicht
da war. Er war auch zum Mittagessen nicht zurück gewesen, und Cora hatte sich
rasend vor Ungeduld zur Mittagsruhe begeben. Sie hatte sich vollkommen
entkleidet, in dem Gefühl, dass nur die kühlen weißen Leinenlaken die Hitze
dämpfen konnten, die ihren Körper durchströmte. Aber die Laken waren ebenfalls
heiß geworden, also hatte sie sich von ihnen befreit und nur mit der warmen
Luft auf der Haut dagele gen, im Ohr das Getöse des Canal Grande, das durch
das offene Fenster drang. Sie musste eingeschlafen sein, denn das Nächste,
woran sie sich erinnerte, war Ivos Hand auf ihrer Brust. Sie hatte die Arme
ausgestreckt, um ihn an sich zu ziehen, aber er hatte sie zurückgehalten.
«Warte, mein ungeduldiger Liebling, es gibt etwas, das du für mich tragen
sollst.» Und er hatte ein abgegriffenes Lederetui aus seiner Tasche geholt.
«Mach es auf.» Cora hatte den Deckel geöffnet. Darin lagen Perlen in allen
Farben der Nacht, von dämmeriger Bronze bis zu einem tiefen
Mitternachtsviolett, so groß wie Wachteleier. Sie hatte sie aus dem Etui
genommen und sie sich an den Hals gehalten, wo sie gelegen hatten, wie sie
jetzt dort lagen: schwer vor Verheißung. Sie hatte ihre Arme gehoben, um an den
Verschluss zu kommen, davon ausgehend, dass Ivo es übernehmen würde, die Kette
zu schließen, aber er hatte einfach zugesehen, wie sie versuchte, den goldenen
Haken in die Öse zu bekommen.
Er hatte sich etwas zurückgelehnt,
um sein Geschenk zu bewundern.
«Schwarze
Perlen sind so selten, es kann ein ganzes Leben dauern, ehe man genug davon
beisammenhat, um eine Kette zu machen.» Er beugte sich vor, strich mit dem
Finger an den Perlen entlang und legte dann seine Lippen auf ihre.
Später hatte er ihr ins Ohr
geflüstert: «Ich wollte, dass sie dir gehören, nur dir.» Und sie hatte ihn
geküsst und seine Hand an ihren Hals gelegt.
«Fühl mal, wie warm sie jetzt sind.
Jedes Mal, wenn ich sie trage, werde ich an diesen Moment denken.»
Cora spürte, wie die Wärme dieses
erinnerten Nachmittags durch ihren Körper lief. Es war schwer gewesen, nach der
Hochzeitsreise nach England zurückzukommen, nicht nur weil sie jetzt einen Adelstitel trug
und sich um ein großes Haus kümmern musste, sondern weil sie nicht mehr den
ganzen Tag und die ganze Nacht mit Ivo verbringen konnte. Lulworth hatte
einundachtzig Bedienstete, und obwohl sie noch gar keine Gäste empfangen
hatten, waren sie offenbar niemals allein. Sie war sich Ivos nicht mehr so
sicher wie auf der Yacht ihres Vaters, mit der sie im Mittelmeer gesegelt
waren. Dort waren sie beide locker und formlos gewesen, eingeschränkt einzig
und allein durch das Wetter. Gelegentlich hatten sie mit Botschaftern oder
unbedeutenderen Prinzen zu Abend gegessen, aber das waren Abenteuer gewesen,
für die sie sich schick gemacht hatten, lachend und verschworen, und dann
hatten sie sich den ganzen Abend über Blicke zugeworfen und kaum erwarten
können, dass er endlich zu Ende ging, damit sie wieder zu zweit sein konnten.
Sah Cora jetzt in der Hoffnung auf, einen Blick mit Ivo wechseln zu können, war
sie nie sicher, ob er ebenfalls darauf wartete. Nur nachts war sie sich seiner
gewiss. Sie war schockiert gewesen, als sich herausstellte, dass sie hier in
Conyers getrennte Schlafzimmer hatten. Ivo hatte über ihre offensichtliche
Bestürzung gelacht.
«Liebling, du wirst nie als Herzogin
durchgehen, wenn die Leute denken, dass du das Bett im Ernst mit deinem Ehemann
teilen willst.»
Cora nahm ihm das Versprechen ab,
dass er die Nächte bei ihr verbrachte.
«Aber wenn es dämmert, werde ich
gehen müssen, sonst reden die Bediensteten.»
Cora hatte geschmollt, aber Ivo
machte Späße mit ihr, bis sie wieder lachte.
Jetzt wartete
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