Daisy Sisters
Tagesmutter, die 1956 aus Ungarn nach Schweden gekommen ist, scheint viel Verständnis zu haben. Aber es ist nicht Elin, an die sie jetzt denkt, sondern Staffan. Der Dreizehnjährige, der im Aussehen so sehr seinem Vater gleicht, dass es schon beinahe komisch wirkt. Staffan, der plötzlich anfängt, mit gebrochener Stimme zu sprechen und abends zu mysteriösen Ausflügen verschwindet, wodurch er die Schularbeiten, die ihm früher so leicht fielen, vernachlässigt. Der kaum antwortet, wenn Eivor ihn etwas fragt, der seine Schwester Linda verprügelt, wenn sie am wenigsten drauf gefasst ist. Eivor hat versucht, sein Benehmen normal zu finden, er ist dabei, sich durch die ersten beschwerlichen Teenagerjahre zu tasten. Aber es wurde immer schwieriger, und Jacob fällt es auch nicht leichter, ihn zu verstehen. Gestern hat Staffans Klassenlehrer angerufen. Ihr Sohn wurde mehrfach in einer BandeJugendlicher gesehen, die Bier tranken und an berauschenden Lösungsmitteln schnüffelten. (Genau so hatte er sich ausgedrückt, und Eivor nimmt an, dass das seine Art war, die Wahrheit erträglicher zu machen.) Heute Abend wird sie nun versuchen, mit ihm zu reden, und sie weiß absolut nicht, wie sie sich seiner unbekannten Welt nähern soll. Der Donnerstagabend ist passend dafür, da ist Linda zum Gymnastiktraining und darf bei ihrer besten Freundin übernachten.
Elin schläft, und Staffan ist noch immer nicht nach Hause gekommen. Sie geht in die Küche, bleibt stehen und fragt sich, was sie eigentlich wollte. Erst als sie den Kühlschrank öffnet, fällt ihr wieder ein, dass sie sich mit ein paar Tropfen Rotwein stärken wollte. Aber sie lässt es bleiben, als ihr einfällt, dass sie wohl schlecht mit ihrem Sohn über Rauschmittel sprechen kann, wenn sie selbst Wein getrunken hat.
Hat sie Angst? Macht sie sich ernsthafte Sorgen? Klassenlehrer Engström ist neu in diesem Schuljahr, sie ist ihm noch nicht begegnet, und nach Staffans Beschreibung ist er der Typ, den Charles Bronson in zahllosen Filmvarianten verkörpert, wenn er jemand tötet. Er wirkte gehetzt am Telefon, als würde er seine Abende damit verbringen, Warnsignale an eine unendliche Anzahl ahnungsloser Elternpaare zu versenden. Aber sie kommt nicht davon los, er wirkte nicht wie einer, der übertreibt.
Schließlich steht Staffan in der Tür, verrotzt und dreckig, zerrt am Reißverschluss seines Steppanoraks und streift die kurzen Gummistiefel ab, als wären sie Taschenkrebse, die sich in seinen Zehen festkrallen wollen. Er murmelt etwas Undeutliches und ist schon auf dem Weg in sein Zimmer, als Eivor sagt, dass sie mit ihm sprechen wolle.
»Worüber?«, fragt er und ist sofort auf der Hut, wie ein Grenzsoldat an einem Außenposten.
»Was du an den Abenden so treibst!«
»Nichts.«
»Wir müssen aber doch trotzdem nicht hier im Flur stehen? Wir können uns doch wohl setzen?«
»Ich stehe hier gut.«
»Staffan …«
»Leg los!«
»Dein Klassenlehrer hat gestern Abend angerufen.«
Plötzlich stürzt er auf sie zu und schreit ihr direkt ins Gesicht: »Was hat er gesagt? Was wollte er? Dieser Teufel! Man sollte ihm die Pfoten abschneiden. Morgen werde ich das tun! In der ersten Stunde! Was wollte er?«
Eivor ist natürlich vollkommen überrumpelt. Auge in Auge mit ihrem dreizehnjährigen Sohn zu stehen, der eben noch ein kleiner Junge war. Aber obwohl sie beinahe Angst vor ihm bekommt, erfasst sie doch Einzelheiten in seinem Gesicht, die sie vorher nicht beachtet hat. Er ist sehr blass, und seine Wangen und sein Kinn sind gesprenkelt von so winzigen Pickeln, dass sie erst sichtbar werden, als sie sein Gesicht direkt vor sich hat. (Wann durfte sie ihn zuletzt umarmen? Vor einem Jahr?) Sie bittet ihn, sich zu beruhigen, und er hält auch plötzlich inne, als ob sie ihn geschlagen hätte.
»Es reicht, wenn du mit Ja oder Nein antwortest«, sagt sie. »Bist du mit bei denen, die Bier trinken und … schnüffeln?«
»Nein.«
»Nie?« (Zum ersten Mal erlebt sie, dass hier ein fast erwachsener Mensch lügt. Vorher waren es die schwebenden Ausflüchte des Kindes über stibitztes Kleingeld, Streichholzspielereien oder Ähnliches. Aber jetzt begegnet ihr eine andere Art Unwahrheit, ein Widerstand, für den er offensichtlich bereit ist, die Konsequenzen zu ziehen, auch wenn er eher ängstlich als aggressiv wirkt.)
»Nein.«
Die Antwort kommt wie ein Hammerschlag mit der Stimme, die manchmal ins Falsett hinauffliegt.
»Begreifst du nicht, dass das gefährlich
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