Daisy Sisters

ist?«
    Sie sieht keine andere Möglichkeit, als seine Antwort zu überhören, besser so, als ihn dazu zu zwingen, seine Lüge einzugestehen.
    »Ich mach das ja nicht, sage ich!«
    »Willst du einer von den Betrunkenen werden, die unten auf dem Markt herumziehen? Das werde ich niemals zulassen. Papa auch nicht!«
    »Gute Nacht.«
    Er geht direkt in sein Zimmer, knallt die Tür zu und schließt ab, und als sie dagegenhämmert, dreht er sein Tonbandgerät so laut, dass die Musik wie eine undurchdringliche Schallwand zwischen ihnen steht. Bei späteren Zwi-schenfällen gelingt es ihr, ruhige und relativ besonnene Gespräche mit ihm zu führen, aber jetzt, angesichts dieser geschlossenen Tür und der dröhnenden Popmusik, ist sie verzweifelt und ahnt zum ersten Mal, dass seine Veränderung und ausweichende Raserei mit der Entstehung von Elin und dem mysteriösen Leon zu tun haben könnten. Es ist ihr also absolut nicht geglückt, die Zufriedenheit der Familie zu bewahren, als sie die Neuigkeit über Elin herausließ. Da musste Staffan einen Betrug erkannt haben, der aller Liebe und Besorgnis spottet, die sie ihm immer erwiesen hat.
    Die vielen Gedanken, die Eivor sich in diesem Sommer 1974 machte, alle sorgenvollen nächtlichen Spaziergänge durch Frölundas heimliche Kneipen, Keller, Hinterhöfe, Brückengewölbe, auf der Jagd nach ihm, wenn er abends nicht heimkam, nahmen an diesem Donnerstag ihren Anfang. Während der Perioden, in denen er daheim war und sich so froh und kindlich gab, wie er tief im Innern ja auch war, konnte sie sogar eine verfängliche Hoffnung nähren,dass alles vorüber wäre. Aber diese Perioden waren kurz, und als die beiden Polizisten vor der Tür standen, mit ihm in der Mitte, ein verschmutztes, halb bewusstloses Bündel, eines späten Abends im August, nur wenige Tage vor Schulbeginn, da war sie sich schon im Klaren darüber, dass es nur immer schlimmer und schlimmer werden würde, wenn sie keine Lösung fand, die ihn mit einem einzigen Ruck aus dem Morast reißen würde. Während des Sommers waren er und Linda mit Jacob und dessen neuer Frau auf Urlaub in Båstad. Es war geplant, dass er dort einen ganzen Monat bleiben sollte, aber nach vier Tagen rief Jacob an und sagte, dass es so nicht ginge und dass Staffan im Zug säße, der um zehn vor sechs am selben Abend in Göteborg sein sollte. Damit löste sich auch die Hoffnung auf, dass er vielleicht nach Borås umziehen könnte, und sie stand wieder mit allen Sorgen allein da. Der Zusammenbruch war nah, außerdem wurde Elin von endlosen Erkältungen geplagt, und die Geduld der loyalen und bedachten Linda nahm schließlich auch ein Ende, da auch sie jetzt in die Pubertät kam.
    Eines Tages, ungefähr Mitte August, holte Eivor einen Zettel hervor, auf dem sie eine Telefonnummer notiert hatte, und mit einiger Mühe gelang es ihr, Sirkka Liisa Taipiainen in Dalarna aufzuspüren, nämlich unter einer Adresse und einer Telefonnummer in der Smidesgata in Borlänge. Als sie die Nummer gewählt hatte und Liisa, die Eivors Stimme gleich erkannte, mit einem Freudenschrei antwortete, da wusste Eivor, dass sie von ihr Hilfe bekommen würde. Sie haben viele Jahre lang nicht miteinander gesprochen, aber trotzdem ist es, als ob sie das lose Ende ihrer Verbindung entdeckten und es wieder zu fassen bekämen. Liisa scheint nichts von ihrer frenetischen Impulsivität verloren zu haben, und sie sagt, sie müssten sich sofort treffen, unbedingt !
    »Ich habe Kinder«, sagt Eivor.
    »Wer hat das nicht? Auf halbem Weg, ok?«
    »Wo ist das? Ich weiß kaum, wo Borlänge liegt.«
    »Du hast noch nie etwas gewusst, Eivor. Aber kümmere dich jetzt nicht darum, wo das liegt. Auf halbem Weg … Wie heißt das noch mal … Da, wo alle Züge halten …«
    Eivor bekommt augenblicklich Herzklopfen, als sie erkennt, dass Liisa nach dem Namen Hallsberg sucht. Hallsberg … Sie wagt es kaum, das Wort auszusprechen, aber Liisa ruft sofort: »Ja, ja, genau … Hallsberg! Das ist auf halbem Weg! Wann kannst du kommen?«
    Es gelingt Eivor, Jacob zu überreden, am letzten Wochenende im August bei den Kindern in Göteborg zu bleiben, und so wird sie von Liisa am Bahnsteig in Hallsberg erwartet. Sie war eine halbe Stunde vor dem Zug aus Göteborg angekommen, und Eivor entdeckt sie sofort, obwohl viele Leute auf dem Bahnsteig sind. Liisa, die Freunde an passenden Stellen im ganzen Land platziert zu haben scheint, hat es so eingerichtet, dass sie eine Nacht bei der entfernten Freundin