Daisy Sisters
unmerkliche Weise beginnt sie auch, sich eine Erklärung zurechtzulegen. Natürlich ist es genau die, für die sie sich später die meisten Vorwürfe macht, als es zu spät ist, etwas zu ändern. Hätte sie gesagt, dass Lasse Nyman der Vater ihres Kindes ist, so wäre alles wenn nicht einfacher, so doch in jedem Fall wahr gewesen. Aber sie entwirft stattdessen eine Fantasiefigur portugiesischer Herkunft namens Leon (sie entdeckt den Namen zufällig in einem Boxartikel in einer Zeitung, soweit sie sich erinnert, ist er Kubaner), einen Mann, der unbekannt bleiben soll. Als die Schwangerschaft im Frühling sichtbar wird und sie sie bekannt gibt, per Brief nach Lomma oder im direkten Gespräch, versteht sie natürlich niemand. Dem guten Jacob gelingt es nicht ganz, ein gewisses Maß an Schadenfreude zu verbergen, obwohl er eigentlich höchst aufgebracht darüber ist, dass ihre gemeinsamen Kinder ein unechtes Geschwisterkind bekommen sollen. Dieser Frühling und diese Schwangerschaft sind für sie eine Periode, die einmal nicht von Sieg oder Niederlage handelt. Es ist nur das unberechenbare Leben an sich, und sie vermag nichts anderes, als ihre unbegreifliche Pflicht zu tun. In dieser Zeit kommt sie ihren Kindern näher als jemals zuvor, ihre Gemeinschaft bekommt eine neue Dimension. Staffan und Linda verstehen sie natürlich am wenigsten. Sie malt den unbekannten Leon aus als eine Person mit beinahe mystischen Zügen, und sie strengt sich bis zum Äußersten an, ruhig und gefasst zu bleiben, ihre gemeinsame Zufriedenheit nicht zu riskieren. Und sie bildet sich ein, dass ihr das auch geglückt ist. Erst viel später sieht sie ein, dass sie sich geirrt hat. Undda ist es schon zu spät, da gibt es das Mädchen ja schon. Klein Elin.
Als sie Ende März von ihrer letzten Abendlektion kommt, legt sie so etwas wie eine Festungslinie um sich und ihre Kinder. Nur Jacob schlüpft zu seinen festgelegten Zeiten hindurch. Elna, die sofort angefangen hat, sie mit Briefen und Anrufen zu bombardieren, hält sie energisch auf Abstand. Jetzt gibt es, außer den Arbeitsstunden im Getränkehandel, nur noch ihr Zuhause und die Kinder. Sie wirkt nicht resigniert, sie denkt nicht in Begriffen wie Unglück oder Niederlage. Sie hat vor, ihre Weiterbildung so schnell wie möglich wieder aufzunehmen. Es wird seine Zeit dauern, aber doch nicht so lange, dass es keinen Sinn mehr hat.
Niemand versteht ihren Entschluss, das Kind auszutragen, zumal Klein Elin das Resultat eines rotweinduftenden Urlaubsabenteuers ist. Und sie muss wohl auch zugeben, dass sie selbst es nicht versteht. Sie war doch fest entschlossen, keine weiteren Kinder in die Welt zu setzen, zwei Kinder sind genug, das eigene Leben soll auch noch zum Zuge kommen. So gesehen ist es natürlich unbegreiflich, dass sie die Abtreibung nicht hat durchführen lassen. Lasse Nymans Worte: Dann nehme ich mir das Leben können unmöglich die Erklärung für diese völlige Kehrtwendung sein. Es ist eher so, dass sie nicht einmal sicher ist, ob sie die Abtreibung sonst wirklich hätte vornehmen lassen. Vielleicht hätte sie, auch wenn Lasse Nyman noch am Leben gewesen wäre, sich vor dem Eingang des Krankenhauses umgedreht und wäre wieder fortgegangen? Sie weiß es nicht, und sie ist viel zu müde, sich um eine Antwort zu bemühen.
Es wird Mai 1974. Die Maientage sind warm, und Eivor schwitzt hinter der Theke des Systembolag. Es ist Donnerstag, aber die Nachfrage nach Alkohol ist groß, und das Personalhat sich schon oft gewundert, dass das schwedische Volk immer mehr Schnaps zu trinken scheint, trotz der enormen Preissteigerungen.
Eivor ist zweiunddreißig Jahre alt, Staffan dreizehn, Linda zwölf, und Elin, die am Morgen des 1. Oktober 1973 geboren wurde, ist schon bald ein dreiviertel Jahr.
Der Uhrzeiger rückt auf die Schließungsstunde vor, Vorsteher Madsén klappert vorwurfsvoll mit seinem Schlüsselbund in Richtung der Kunden, die so spät noch kommen. Eivor verkauft eine Flasche Wodka an einen Kunden, von dem sie eigentlich eine Legitimation verlangen müsste. Seine Augen sind glasig, und eine unmissverständliche Fahne von abgestandenem Bier schlägt ihr entgegen. Aber sie tippt nur die Summe ein und stopft die Flasche in eine Plastiktüte. Sie hat es eilig, Elin bei der Tagesmutter abzuholen, die sie glücklicherweise im Nachbarhaus gefunden hat. Wenn sie morgens mal spät dran ist, und das kommt öfter vor, kann sie Elin einfach in eine Decke wickeln und hinübertragen. Die
Weitere Kostenlose Bücher