Daisy Sisters
einer Freundin ihres Bruders (Eivor hatte keine Ahnung, dass Liisa irgendwelche Brüder hat!) in Hallsberg übernachten können.
Sie treffen sich an einem Samstag um die Mittagszeit, und sie bleiben bis drei Uhr am Sonntagnachmittag in Hallsberg. Während dieser Zeit schlafen sie beinahe überhaupt nicht, keiner von ihnen denkt auch nur daran. Sie laufen herum und erzählen, sitzen und erzählen, liegen und erzählen, und es ist ein Tag, an dem sie kaum Atem holen. Falls jemand sie beobachtet, so stechen sie mit aller Wahrscheinlichkeit als auffallendes Paar hervor. Während Liisa abgenutzte, fransige Jeans trägt, Holzschuhe an den bloßen Füßen und ein weißes Freizeithemd, hat Eivor große Mühe darauf verwandt, ihre Kleidung so zusammenzustellen, wie es sich ihrer Meinung nach für ein Wiedersehen mit Liisa gehört.
Sie hat vor ihrem Kleiderschrank in Frölunda gestandenund gedacht: »Wie soll Liisa mich sehen?« Aus einem Haufen von Kleidern wählt sie ein Sommerkleid in Rostbraun und ein Paar hochhackige Schuhe, die in der Farbe dazu passen. Beide starren sich verblüfft an, aber erst am Abend nehmen sie die Unterschiede in ihrer Kleidung als Beweis dafür, wie entgegengesetzt sie sich entwickelt haben.
Eivor kennt sich überhaupt nicht mehr aus in Hallsberg, und auch die Gesichter in den Straßen sind ihr unbekannt. Nur einige Geschäfte sind sich gleich geblieben, Teile der Bebauung, der Bahnhof, die hohen Bäume auf dem Bahnhofsplatz. Aber was sie wirklich bedrückt wie eine unheimliche Wahrnehmung von Vergänglichkeit, als sie vor dem gelben Mietshaus stehen, in dem sie während ihrer Kindheit gewohnt hat, das ist, dass Anders’ kleines rotes Haus verschwunden ist. Nichts ist zurückgeblieben, kein Garten, keine Birke, keine rote Eberesche. Stattdessen ist da ein Asphaltplatz, ein Parkplatz für die neu gebauten Reihenhäuser. Sie versucht, Liisa zu erzählen, wie es früher aussah, von Anders, von dem Leben, das sie einmal geführt hat, aber sie gibt auf und schweigt. Das ist zu privat, sie findet keine Worte, die lebendig genug wären, um Liisa zu interessieren. Als sie Liisas zunehmende Ungeduld sieht, zuckt sie mit den Achseln, und sie kehren um und gehen den Weg zurück, den sie gekommen sind.
Nur die Zeit bei Konstsilke in Borås haben sie gemeinsam, und sie reden darüber, auf einer blau gestrichenen Bank, die bei der verschmutzten Fontäne mitten vor dem Hotel in Hallsberg steht. Der wiedererweckte Kontakt erinnert sie daran, dass so unerhört viel geschehen ist. Dass zehn Jahre wirklich eine lange Zeit sind.
Liisa beginnt mit dem Bau ihrer Brücke über die zehn Jahre bei einer scheinbar endlosen Serie von Treuebrüchen, die einen ständig steigenden Widerwillen in ihr erregt hat.InBorås (Eivor rechnet schnell aus, dass es ungefähr zu der Zeit gewesen sein muss, als Staffan geboren wurde) hat sie einen Jugoslawen getroffen, und es wurde eine Hals-über-Kopf-Liebe. Als er eine besser bezahlte Arbeit in Olofström gefunden hatte und sie bat nachzukommen, zögerte sie nur so lange, wie sie brauchte, um ihren letzten Lohn bei Konstsilke abzuholen. In Olofström öffnet sie dann die Tür zu einer Baracke, von der sie glaubt, dass sie zur ewigen Liebe führe, um ihn dort bereits in den Armen einer anderen Frau zu entdecken. Sie bleibt ein Jahr lang bei ihm, ein Jahr ständig gebrochener Versprechungen. Als er ihr in einem Anfall unberechtigter Eifersucht beinahe alle Haare ausreißt, sieht sie ein, dass sie sich nicht länger selbst verleugnen kann, und sie haut ab. Sie fährt nach Stockholm und stürzt in ein Chaos zufälliger Arbeiten, zufälliger Verhältnisse, zufälliger Betten. Eine Zeit lang ist sie so tief unten, dass sie sich sogar betrunken und ungewaschen am Zentralbahnhof herumtreibt. Was sie davor rettete, in einem dreckigen Hauseingang zu sterben, erstickt an ihrem eigenen Erbrochenen, war, dass sie, wie sie sagt, »niemals Geld als Bezahlung nahm«, nur Essen, Alkohol und einen Schlafplatz. Einen letzten Rest von Selbstachtung vermochte sie sich immer zu bewahren.
Eines Abends, als sie aus unerfindlichem Grund etwas Geld hat, schlägt sie in ihrer umnebelten Hilflosigkeit einem ihrer treuesten Saufkumpane einen Stuhl über den Kopf, nimmt ein Taxi nach Värtahamnen und kauft sich eine einfache Fahrkarte nach Helsingfors. Auf der Fähre trifft sie einen finnischen Leichtmatrosen, der ihr, statt sie zu Schnaps einzuladen, eine lange Strafpredigt hält und sie unter die kalte
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