Daisy Sisters
Nicht wahr?
»Ich habe eine Freundin in Gävle, die bei einem Unglück schwere Brandverletzungen abbekommen hat«, lügt Elna, die sich gründlich vorbereitet hat. »Es kann sein, dass sie sterben wird.«
Frau Ask runzelt die Stirn und lässt die Zeitung sinken. Brandverletzungen?
»Sie hockte vor dem Herd, als ein großer Wasserkessel umgekippt ist«, fährt Elna fort. »Es war kochendes Wasser, und sie bekam alles über den Rücken und den Kopf. Das Haar ist völlig weggebrannt.«
Frau Ask schüttelt sich und will nicht mehr hören. Die Freizeit wird bewilligt, aber mit der strengen Ermahnung, dass sich das nicht wiederholen solle.
»Danke, liebe Frau Ask«, sagt Elna und knickst. Aber innerlich hasst sie den bleichen Habicht hinter seiner Zeitung, hasst sie und die Demütigung.
Am Tag darauf trifft sie Rut, eine fünfunddreißigjährige Frau, die wie sechzig wirkt. Ein Rausschmeißer vor der Bierkneipe hat teilnahmslos in einen Hinterhof gezeigt, da wohne das Weib zwischen Mülltonnen und Plumpsklos und Ratten.
Sie klopft an eine schiefe Tür in einem unbeleuchteten Treppenhaus, ein Zettel an der Tür teilt mit, dass dies hier Rut Asplunds (oder möglicherweise Asklund, das lässt sich nicht genau entziffern) Wohnung ist.
Nach einem kurzen Schlurfen öffnet sich die Tür einen Spalt, und eine Frau mit blutunterlaufenen Augen stiert sie an. »Wer zum Teufel bist du?«, fragt sie, und ein Dunst von altem Schnaps schlägt Elna ins Gesicht.
Dann ist sie in der Küche, schmutzig, verrußt, das einzige Fenster von Fett beschlagen. Ein Zimmer, beleuchtet von einer nackten Glühbirne, an der Decke. Kaputte Stühle, die Federn hängen unter den schmierigen Polstern herum, Stapel von Flaschen, Zigarettenpäckchen, und zum zweiten Mal in ihrem Leben sieht Elna ein Gummi. Aber dieses hier ist unbenutzt, es liegt auf einem Kleiderstapel in einer Ecke des Raums. Es gibt ein ungemachtes Bett mit schmutzigem, fleckigem Laken, und an den Wänden stehen weitere Matratzen. Der Raum ist muffig, als wäre er seit tausend Jahren verriegelt.
Gibt es noch mehr? Ja, zwei blasse und verschreckte Kinder, zusammengekauert in einer Ecke, bereit, sich anzuziehen und nach draußen zu laufen, falls es ein Herr ist, der zu Besuch kommt. Da müssen sie auf dem Hof herumlungern oder durch die Straßen laufen, bis sie sehen, dass der Besuch sich verzogen hat. Es sind zwei Mädchen, vielleicht acht und zehn Jahre alt.
Elna will umkehren, weglaufen. Nicht, weil sie über das, was sie sieht, schockiert ist. Das ist wohl nicht so viel schlimmer als bei den meisten. Nein, es ist das, worüber sie reden will, was sie zum Ausgang treibt. Aber sie geht nicht, sie bleibt. Rut treibt ihre Kinder hinaus, fragt, ob Elna ein Pils will und warum sie gekommen ist.
»Wenn du daran gedacht hast, Hure zu werden, dann musst du nach Stockholm fahren«, sagt sie und tritt nach einer räudigen Katze, die unter dem Bett hervorgekrochen kommt. »Da hat eine, die so jung ist wie du, die Möglichkeit, der größten Scheiße zu entgehen. Das ist immer noch besser, als in stinkenden Booten zu bumsen. Es stimmt zwar, dass die Seeleute meist anständig sind, bezahlen, was sie wollen, und außerdem Zugang zu Schnaps haben, aber sie sind oft so geil, dass sie nie genug bekommen. Und dann sind da alle die Ausländer auf den Schiffen, die ihre speziellen Wunschvorstellungen haben, das ist nicht immer so lustig.« Nein, nach Stockholm soll sie fahren, wenn es nun das ist, was sie fragen will.
»Oder hat da jemand was Kleines in dich gepflanzt? Warum sagst du nichts? Du bist wohl kaum aus reiner Neugierde hier. Wer hat dich hergeschickt?«
Rut ist betrunken. Nicht so, dass sie schwankt oder nicht weiß, was sie sagt, sie kann sich noch aufrecht halten. Die schmutzige Wohnung wird davon zwar nicht weniger beklemmend, die Kleinen sind nicht weniger blass, aber es ist trotzdem erträglicher. Doch was will dieses arme Ding nur?Sie wirkt ja nun irgendwie gut ernährt, außerdem sonnengebräunt, und die Kleider sind heil. Warum soll sie auf die Straße gehen und anschaffen? Ist es der wahnsinnige Traum vom Glück und einem reichen Mann? Nein, so eine scheint sie nicht zu sein. Rut hat gelernt, Menschen zu beurteilen, anders wäre sie schon lange totgeschlagen worden oder aufgeschlitzt von irgendeinem Verrückten. Nein, das Mädchen wird wohl schwanger sein. Sie ist daran gewöhnt, dass so etwas passiert, dass sie dann Besuch bekommt und Fragen nach Adressen und
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