Daisy Sisters
nicht verkehrt, denn dann öffnet er nicht. Es ist ja schließlich verboten, was er tut, das weißt du. Geh jetzt und komm nie wieder hierher. Armes Mädchen. Du tust mir leid. Ich werde richtig wütend! Diese Gaunergesellschaft… Mach dich jetzt auf den Weg, und bete zu Gott …«
Auf der Treppe stößt Elna mit einem betrunkenen Mann zusammen, ein eleganter Hut ist ins Gesicht gezogen. Er stolpert an ihr vorbei und verschwindet bei Rut. Sie ist noch nicht ganz auf den Hund gekommen, der eine oder andere bürgerliche Rittersmann besucht sie weiterhin. Einige dieser Herren werden erst richtig erregt davon, in Verfall undSchmutz bedient zu werden, die Unterwelt hin und wieder zu besuchen, eine wirklich gefallene Frau zu besuchen.
Dreimal lang, zweimal kurz. Der letzte Zug zurück nach Sandviken wird bald fahren, aber zuerst muss sie einen Termin bei diesem Arzt bekommen.
Aber es ist kein Arzt, der öffnet. Ein glatzköpfiger Mann in den Fünfzigern lässt sie leise herein in einen dunklen Flur. Er ist mit einem schwarzen Morgenrock bekleidet. Elna hat ihn sich weiß gekleidet vorgestellt. Er ist unrasiert, und die Augen sind stumpf. Ist er das wirklich?
In einer Woche kann sie kommen. Einhundert Kronen will er haben. Oder einen entsprechenden Gegenwert. Dann schiebt er sie hinaus, sie meint, dass jemand hinter der geschlossenen Tür jammert.
Es herrscht Augustdämmerung, als sie mit dem Zug nach Sandviken zurückkehrt. Ihr gegenüber sitzt eine schwangere Frau. Sie ist dürr, und ihr Bauch schiebt sich weit vor. Sie starrt mit leerem Blick durch die Scheibe, sie ist wohl nur ein paar Jahre älter als Elna.
Hundert Kronen. Woher soll sie hundert Kronen nehmen? Das sind drei Monatslöhne für sie. Einen Vorschuss zu bekommen wäre die einzige Möglichkeit. Gott sei Dank ist es nicht die habichtnasige Frau, die sie bezahlt, sondern der bekümmerte Mann. Er sieht sie ja ab und zu mit einem wehmütigen Lächeln an; hätte er die Erlaubnis seiner Frau, wäre er vielleicht so nett, wie er wirkt.
Den glatzköpfigen Mann verbannt sie aus ihren Gedanken.
Misslingt die Abtreibung, bleibt ihr nur noch übrig, sich das Leben zu nehmen. Und sie will doch leben.
Sie sieht aus dem Fenster, der Zug ruckelt vorwärts, die Schwangere auf der Bank gegenüber hat die Augen geschlossen.
Als Elna dem Ingenieur nach den Abendnachrichten den Kaffee serviert, knickst sie und fragt.
Er schaut sie verwundert an. »Drei Monatslöhne als Vorschuss, das ist ja nun ziemlich viel«, sagt er zögernd.
»Ich würde nicht darum bitten, wenn ich es nicht so sehr brauchte«, antwortet Elna.
»Nein, natürlich … Ja, ich werde es mir überlegen …«
»Ich brauche es schnell«, sagt Elna.
Er nickt. Er wird über Nacht nachdenken.
Sie bekommt fünfzig Kronen. Er hat sich mit seiner Frau beraten, und sie ist der Ansicht, dass sie auf keinen Fall mehr Vorschuss geben können. Hat die Habichtnase gesprochen, so wagt der Ingenieur nicht, etwas dagegen zu sagen. Sie nimmt den Schein entgegen – und knickst. Vielen Dank, vielen Dank. Aber woher soll sie den Rest bekommen? Das Kleingeld, das sie gespart hat, reicht gerade für die Hin- und Rückfahrt mit dem Zug.
Zu Hause leihen? Wie soll sie es denn begründen?
Nein, das wagt sie nicht. Die Fragen würden auf sie niederprasseln, und Vater Rune könnte etwas ahnen.
Aber plötzlich erinnert sie sich an etwas, was der glatzköpfige Mann gesagt hat. Etwas von Gegenwerten . Hätte sie ein Silbertablett im Wert von fünfzig Kronen, so würde er das also auch nehmen. Aber sie besitzt ja nun nichts, absolut gar nichts!
Sie wischt Staub und schaut auf das Silberservice, hinter den Glasscheiben in einem großen Schrank. Das Bild dort vor dem offenen Kamin, so hat sie während eines Fests sagen hören, ist drei- oder viertausend Kronen wert. Und in diesem Haus kann sie nicht mehr als fünfzig Kronen Vorschuss bekommen! Würde es überhaupt jemand merken, wenn ein paar Teller verschwänden? Doch, die Habichtnase, die nichts anderes zu tun hat, als Hitlers Vormarsch zu überwachenund ihre Hausmädchen zu scheuchen, würde es natürlich entdecken, früher oder später.
Und hier steht Elna mit ihrem Staubtuch und einer großen Wut, genauso stark wie Vater Runes unterdrückte Raserei, die nur zum Vorschein kommt, wenn er trinkt. Ihr steigen die Tränen in die Augen bei dem Gedanken an die gigantische Ungerechtigkeit, die sie umgibt. Eine Welt, in der sie Staub wischen muss. Wenn das die Wut ist, auf die
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